EUR/USD: Langfristig dominiert die Euro-Skepsis

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Der Euro ringt mit der Richtung. Nach einer Woche des Stillstands um die Marke von 1,16 US-Dollar steckt das Währungspaar EUR/USD in einem Haltemuster, das viel über die aktuelle Weltlage verrät: Unsicherheit dominiert, die Marktteilnehmer warten auf Signale aus den Zentralbanken. Weder die US-Notenbank Fed noch die Europäische Zentralbank (EZB) haben bislang die Geduld der Anleger erlöst – und so verharrt der Euro im Niemandsland zwischen technischer Neutralität, fundamentaler Divergenz und geopolitischer Nervosität.

Der Kursverlauf der 43. Kalenderwoche zeigt exemplarisch, was „Konsolidierung“ bedeutet: eine enge Spanne zwischen 1,160 und 1,165 USD, kaum Volatilität, kein Trend. Hinter dieser Ruhe verbirgt sich ein hochgespannter Devisenmarkt, der auf die Zinsentscheide der kommenden Tage blickt. Die Aussicht, dass sowohl die Fed als auch die EZB ihre geldpolitischen Leitlinien für das Jahresende neu justieren, lähmt jede eindeutige Positionierung.

Makrodaten aus beiden Wirtschaftsblöcken lieferten kaum Orientierung. In den USA zeigten die Einkaufsmanagerindizes (PMI) robuste Werte – Rückenwind für den Dollar –, während die Verbraucherpreise (CPI) überraschend weich ausfielen. Die Eurozone wiederum überraschte mit leicht besseren PMI-Daten, doch strukturell bleibt die Wirtschaft schwach. So balanciert der Markt zwischen Hoffnung auf Entspannung und Angst vor Fehltritten.

Dollar-Stärke als Systemfaktor

Die Vereinigten Staaten präsentieren sich weiterhin widerstandsfähig. Solange die Fed – trotz weicherer Inflationsdaten – ihre restriktive Haltung beibehält, bleibt das Zinsgefälle zu Europa bestehen. Diese Differenz zieht Kapital in US-Anlagen und festigt den Dollar als Fluchtwährung. In Europa hingegen wirkt die Unsicherheit wie Blei: eine schwache Industrie, politische Reibereien von Rom bis Paris, dazu hohe Energieimporte.

Institutionelle Akteure sehen deshalb langfristig wenig Chancen für eine Euro-Renaissance. Sowohl Wells Fargo als auch Crédit Agricole erwarten für 2026 / 27 eine erneute Dollarstärke und prognostizieren einen EUR/USD-Kurs um 1,12 USD. Diese Einschätzung stützt eine strukturelle These: Die US-Wirtschaft bleibt – dank höherer Produktivität, Kapitalrendite und fiskalischer Spielräume – der attraktivere Hafen, solange die Fed nur vorsichtig Richtung Zinssenkung denkt.

Ruhe vor dem Ausbruch

Charttechnisch ist das Währungspaar in einer engen Spanne eingeklemmt. Die gleitenden Durchschnitte auf Tagesbasis (5–200 SMA) verlaufen flach bis leicht fallend; der Kurs von 1,1625 liegt knapp darüber, aber unter sämtlichen mittelfristigen Linien. Der RSI bei 39,8 signalisiert bärisches Momentum, der MACD pendelt um null – Zeichen eines Marktes ohne Überzeugung.

Widerstände liegen bei 1,164 / 1,167 / 1,174 USD, Unterstützungen bei 1,160 / 1,157 / 1,151 USD. Die Analysten von Kavout bewerten das technische Setup mit 55 von 100 Punkten – neutral bis leicht bärisch. Ein Anstieg über 1,167 könnte kurzfristig eine Erholung Richtung 1,174 einleiten, während ein Bruch unter 1,160 den Weg zu 1,151 öffnet. Der Markt oszilliert, aber das Momentum bröckelt – wie bei einer Feder, die sich spannt, ohne zu wissen, wohin sie springen wird.

Geduld als Tugend

Die Händlergemeinschaft verhält sich auffällig defensiv. Positionierungen bleiben gering, Handelsvolumina flach. Das Sentiment, auf Basis von rund 20 News-Quellen ausgewertet, gilt als „mixed – leaning negative“. Kurzfristig überwiegt die Abwartehaltung, langfristig dominiert die Skepsis gegenüber dem Euro.

In solchen Phasen wird Psychologie zum Faktor: Die Marktteilnehmer wissen, dass jeder Zins-Halbsatz aus Washington oder Frankfurt den Kurs in Sekunden um ein Prozent bewegen kann. Entsprechend schieben viele Strategen ihre Entscheidungen auf. „Leverage kills accounts“, warnt der Kavout-Bericht – ein seltener Satz in nüchternen Analysen, der aber die gegenwärtige Nervosität präzise beschreibt.

Die Rückkehr des Risikoaufschlags

Auch jenseits der Notenbanken türmen sich Risiken. Im Nahen Osten eskaliert die Lage zwischen Israel und Iran, was den Ölpreis hochhält – und damit indirekt den Dollar stärkt. Ein hoher Energiepreis verlängert in den USA die Inflationssorgen und zwingt die Fed, restriktiv zu bleiben. Europa hingegen leidet unter importierter Teuerung, die der EZB wenig Spielraum lässt.

Hinzu kommen handelspolitische Spannungen: Neue US-Zölle auf chinesische High-Tech-Güter schüren globale Risikoaversion, was Kapital in US-Liquidität treibt. Und in Europa selbst wirken italienische Haushaltskonflikte und französische Rezessionsängste wie Sand im Getriebe der Gemeinschaftswährung. Das politische Risiko ist im Dollar eingepreist – im Euro nicht.

Ausblick: Woche der Wahrheit

Die 44. Kalenderwoche könnte das Patt beenden. Gleich mehrere Termine tragen Sprengkraft:
– am 29. Oktober das EZB-Protokoll, das Aufschluss über die Dauer der Zins-Pause geben soll,
– am 30. Oktober die zweite BIP-Schätzung der USA,
– am 31. Oktober die Fed-Sitzung samt Powell-Pressekonferenz und
– am 1. November der ISM-Index der US-Industrie.

Ein hawkisher Ton der Fed könnte den Euro unter 1,155 drücken; ein dovisher Impuls dagegen kurzfristig über 1,165 heben. Doch selbst im optimistischen Szenario bleibt der strukturelle Gegenwind stark. Das Basisszenario lautet deshalb: neutral bis leicht bärisch – Wahrscheinlichkeit etwa 55 Prozent. Nur ein unerwartet weiches Fed-Statement oder außergewöhnlich starke Euro-Daten könnten einen temporären Rebound bis 1,174 ermöglichen.

Strategische Schlussfolgerung

Für kurzfristige Trader ist Geduld gefragt: kein Einstieg vor einem klaren Ausbruch über 1,165 oder unter 1,160 USD. Für mittelfristige Investoren gilt: Bestehende Positionen absichern, Stop-Loss bei 1,160 setzen. Und für langfristig orientierte Anleger bleibt der Blick nüchtern: Solange die USA ökonomisch dominieren und die EZB keine fiskalische Rückendeckung erhält, spricht wenig für eine nachhaltige Euro-Erholung.

Die Kavout-Analysen fassen es pragmatisch: HOLD – mit 60 Prozent Vertrauen und 40 Prozent Unsicherheit. EUR/USD steht sinnbildlich für eine Welt im monetären Wartesaal. Technisch neutral, fundamental zwiegespalten, politisch nervös – der Kurs bei 1,16 ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer globalen Atempause. Noch halten Fed und EZB die Zügel straff, doch jede Nuance ihrer Wortwahl kann die Richtung bestimmen.

Für Spekulanten bedeutet das: Abwarten ist Strategie. Für vorsichtige Anleger: Absichern ist Pflicht. Und für Beobachter des großen makroökonomischen Spiels bleibt die Erkenntnis: Stabilität an den Märkten ist oft nichts anderes als der Moment, bevor sich die nächste Welle formt.

Quellen:
Kavout EUR/USD Investment Report, 26. 10. 2025; FXStreet (24. 10. 2025); FXEmpire (24. 10. 2025); Forex.com (24. 10. 2025); Wells Fargo & Crédit Agricole Forecasts (25. 10. 2025); eigene Analyse.

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

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