Man muss schon sagen, Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat den Dreh raus. Kaum nähert sich die heiße Phase der Landtagswahlen am 1. September, zaubert er ein Demokratie-Bonbon aus der Tasche, das nicht nur überrascht, sondern auch herrlich süß schmeckt – jedenfalls für ihn. Der clevere Vorschlag, das Grundgesetz per Volksabstimmung in »Verfassung« umzubenennen, ist doch wahrlich ein Meisterstück politischer Finesse. Denn warum sollte man sich mit den drängenden Problemen seines Bundeslandes auseinandersetzen, wenn man doch so elegant davon ablenken kann?
Statt sich den riesigen Problemen in Thüringen zu widmen – man denke nur an die zunehmende Stärke der rechtsextremen Kräfte rund um den berüchtigten Faschisten Björn Höcke – schwenkt Ramelow lieber die Fahne der demokratischen Erneuerung. Schließlich hat er ja Artikel 146 des Grundgesetzes gefunden, der ihm quasi den goldenen Schlüssel für diesen PR-Gag in die Hand drückt. Dass dieser Artikel ohnehin schon seit Jahrzehnten existiert und bisher niemanden wirklich gestört hat? Nebensache! Ramelow hofft offenbar, dass die Wähler so dankbar für sein Demokratie-Bonbon sind, dass sie seine bisherigen Versäumnisse großzügig übersehen.
Man könnte fast glauben, Ramelow hätte diesen genialen Schachzug monatelang geplant, um seine enttäuschten Wähler zurückzugewinnen. Ein Demokratie-Vehikel, das so einfach und gleichzeitig so bedeutungsschwer daherkommt, dass selbst der erfahrenste Polit-Stratege nur bewundernd nicken kann. Dass Ramelow dabei geschickt von den tatsächlichen Demokratie-Defiziten in seinem Land ablenkt, versteht sich von selbst. Die rechtsextremen Umtriebe in Thüringen? Die zunehmende Radikalisierung und die gefühlte Untätigkeit der Landesregierung? Alles Schnee von gestern, wenn man dem Volk ein nettes, kleines Verfassungs-Voting anbietet.
Doch die Kritiker sind wachsam. Einige durchschauen Ramelows Manöver und weisen darauf hin, dass eine Verfassungsdebatte nur von den echten Problemen ablenkt. Andere erinnern an die Einhaltung einstiger Versprechen, etwa an die von den Linken Abschaffung des Verfassungsschutzes im Land, der sich einstmals als unkontrollierbare und unreformierbare NSU-Unterstützergruppe enttarnt hatte. Aber mal ehrlich, wer will sich schon mit harten Fakten und unangenehmen Wahrheiten beschäftigen, wenn man stattdessen in den süßen Träumen einer Volksabstimmung schwelgen kann?
Selbst Ramelows Koalitionspartner gehen auf Distanz: Grüne und SPD können dem Vorschlag nichts abgewinnen. Sie sehen darin keinen echten Mehrwert und werfen Ramelow vor, den Kritikern des Grundgesetzes nur zusätzliches Futter zu geben. Aber für Bodo Ramelow zählt das alles nicht. Er weiß, dass er mit seinem Demokratie-Bonbon die Schlagzeilen dominiert und sich als der große Erneuerer inszenieren kann – genau zur rechten Zeit.
Am Ende bleibt die Frage: Wird der Thüringer Ministerpräsident tatsächlich eine ernsthafte Debatte über die Zukunft des Grundgesetzes anstoßen? Oder bleibt sein Vorstoß nur ein cleveres Manöver, um von den wahren Herausforderungen in Thüringen abzulenken? Die Antwort darauf kennt wohl nur Ramelow selbst – und vielleicht ein paar schlaue Strategen in seiner Partei. Eines ist sicher: Langweilig wird es in Thüringen so schnell nicht.