Der Fall des Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts Gera, Dr. Bengt Fuchs, ist mehr als eine regionale Personalie. Er ist ein Brennglas für den Zustand der Justiz in einer Gesellschaft, die sich inmitten wachsender Polarisierung befindet. In Gera verhandelt sich nicht nur ein Facebook-Kommentar, sondern die Frage, ob der Rechtsstaat in der Lage ist, Vertrauen zu sichern – oder ob die Justiz selbst Teil einer Erosion wird, die demokratische Grundlagen aushöhlt.
Im Juni 2025 erhob die Staatsanwaltschaft Gera Anklage gegen Fuchs wegen Volksverhetzung. Im August 2019 soll er in einer Facebook-Gruppe mit mehr als 3.000 Mitgliedern vorgeschlagen haben, Angehörige der Volksgruppen Sinti und Roma als »Rotationseuropäer mit Eigentumszuordnungsschwäche?« zu bezeichnen¹. Die Staatsanwaltschaft sah den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB erfüllt. Wegen der herausgehobenen Stellung des Beschuldigten wurde nicht vor dem Amtsgericht, sondern vor dem Landgericht Gera Anklage erhoben¹.
Am 17. Juli 2025 entschied die 3. Strafkammer des Landgerichts, die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen. Zwar sei die Formulierung »zweifellos verächtlich«, doch genüge sie nicht, um eine strafbare Volksverhetzung zu begründen². Die Richter:innen argumentierten, es fehle an einem »Angriff auf die Menschenwürde«, wie ihn § 130 verlange. Verächtlichmachung ja, aber keine Aberkennung des Lebensrechts. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig; die Staatsanwaltschaft hat Beschwerde beim Thüringer Oberlandesgericht eingelegt².
Parallel dazu läuft ein Disziplinarverfahren. Schon 2023 hatte die Autonome Antifa Freiburg ein Dossier veröffentlicht, das Fuchs zahlreiche rassistische und homophobe Beiträge in Studentenverbindungsforen zuschrieb. Er selbst bestritt, deren Autor zu sein³. Gleichwohl wurde er von der Asylkammer des Verwaltungsgerichts abgezogen – nachdem bekannt wurde, dass er von 1.172 zugeordneten Verfahren nur in sechs zugunsten der Kläger:innen entschieden hatte: eine Anerkennungsquote von 0,5 Prozent¹. Eine Quote, die selbst im strengen Feld des deutschen Asylrechts auffällig niedrig ist.
Der Präsident des VG Gera, Michael Obhues, leitete ein Disziplinarverfahren ein und versetzte Fuchs in eine Kammer ohne Asylzuständigkeit³. Bis zur Klärung des Strafverfahrens bleibt das Disziplinarverfahren ausgesetzt. Fuchs jedoch wechselte ins Thüringer Justizministerium, wo er seitdem als Referatsleiter tätig ist⁴. Dass ein Jurist unter solch schwerwiegenden Vorwürfen ausgerechnet dort eine Schlüsselrolle einnimmt, hat eine symbolische Sprengkraft, die über Thüringen hinausweist.
Zwischen Unschuldsvermutung und Amtsethos
Es gilt die Unschuldsvermutung: Fuchs ist nicht verurteilt, solange kein Gericht ein Urteil gesprochen hat. In dubio pro reo — im Zweifel für den Angeklagten. Aber was, wenn die Person kein x-beliebiger Angeklagter ist, sondern Richter, Hüter des Rechts, Instanz des Vertrauens? Hier kollidieren zwei Ebenen: die formale, strafrechtliche Bewertung und die institutionelle Erwartung an das Richteramt.
Das Deutsche Richtergesetz schreibt vor, dass sich Richter:innen auch außerhalb des Dienstes so verhalten müssen, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit nicht gefährdet wird³. Der Fall Fuchs zeigt, wie schnell dieses Vertrauen ins Wanken gerät, wenn Äußerungen bekannt werden, die an diskriminierende Stereotype erinnern. Die Justiz lebt nicht nur von Paragrafen, sondern von ihrer moralischen Autorität. Wer öffentlich oder halboffen Volksgruppen diffamiert, trägt nicht nur privat Verantwortung, sondern beschädigt das Richteramt als solches.
Statistische Fragen: Institutioneller Bias?
Besonders heikel wird der Fall im Kontext der Asylrechtsprechung. 0,5 % positive Entscheidungen in über 1.100 Verfahren¹ – das ist nicht nur eine Zahl, sondern Ausdruck eines möglichen Bias. Ob individuelle Überzeugungen, institutionelle Routine oder struktureller Rassismus: Wer als Richter fast nie zugunsten von Asylsuchenden entscheidet, wirft Fragen auf. Justizforscher:innen warnen seit Jahren vor der Gefahr »institutionellen Rassismus«: nicht offen artikuliert, aber wirksam durch Verfahrensabläufe, Beweiswürdigung, durch die Definition dessen, was glaubwürdig erscheint⁵.
Hier geht es nicht allein um Bengt Fuchs, sondern um ein Symptom: Inwiefern spiegeln Gerichte gesellschaftliche Vorurteile wider, statt sie zu korrigieren? Und wie transparent sind Mechanismen, die Richter:innen zur Verantwortung ziehen? Dass erst Antifa-Recherchen Druck erzeugten, verdeutlicht das Versäumnis der institutionellen Selbstkontrolle.
Weimarer Schatten
Der Blick in die Geschichte zeigt, wie brisant die Rolle der Justiz sein kann. In der Weimarer Republik galt die Justiz als konservative Bastion. Linke Aktivisten erhielten für Bagatelldelikte drakonische Strafen, rechte Täter kamen oft mit milden Urteilen davon. Die Verfolgung der Nationalsozialisten blieb zögerlich, während Kommunist:innen und Sozialdemokrat:innen strafrechtlich härter verfolgt wurden. Die Justiz war kein Bollwerk gegen den Faschismus, sondern vielfach dessen Wegbereiter.
Diese Parallele mahnt. Niemand behauptet, die Thüringer Verwaltungsgerichtsbarkeit bereite heute einen neuen Faschismus vor. Aber die Frage bleibt: Welche kulturellen und institutionellen Signale sendet die Justiz? Ein Richter, der öffentlich Begriffe reproduziert, wie sie schon im Nationalsozialismus zur Ausgrenzung von Sinti und Roma dienten, rührt an eben jene historische Verantwortung, die das Grundgesetz in Artikel 1 festschreibt. Dass ein Landgericht solche Worte zwar als »verächtlich«, aber nicht als »menschenwürdeverletzend« klassifiziert, mag juristisch differenziert sein, politisch aber wirkt es wie ein Abwiegeln.
Der Zwiespalt der Gegenwart
Die Justiz unserer Zeit steht vor einem Dilemma. Sie soll unparteiisch sein, aber sie operiert in einem gesellschaftlichen Klima, das zunehmend von rechten Narrativen durchzogen ist. Sie soll Vertrauen schaffen, gerät aber selbst in den Verdacht, diskriminierende Strukturen zu verfestigen. Und sie soll Grundrechte schützen, muss aber erleben, dass Amtsträger sie infrage stellen.
Im Fall Fuchs zeigt sich dieses Spannungsfeld exemplarisch:
- Das Strafrecht sagt: Kein hinreichender Tatbestand.
- Die Politik sagt: Zweifel an der Eignung sind unvermeidlich.
- Die Öffentlichkeit sagt: Vertrauen ist bereits beschädigt.
So entsteht ein dreifaches Auseinanderfallen von juristischer, politischer und moralischer Ebene. Gerade das aber macht Demokratien anfällig. Denn wer, wenn nicht die Justiz, soll die Grenzen von Diskurs und Menschenwürde klar markieren?
Der Richter als Subjekt
Der Fall Fuchs erinnert uns daran, dass Richter:innen nicht bloß Vollzugsorgane von Normen sind. Sie sind Subjekte, deren Haltung und Sprache Bedeutung haben. In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen demokratischer Resilienz und autoritärer Versuchung dünner werden, darf die Justiz nicht ins Zwielicht geraten. Es reicht nicht, formaljuristisch zwischen »verächtlich« und »menschenwürdeverletzend« zu unterscheiden. Es braucht den Mut, Amtsträger:innen auch jenseits strafrechtlicher Kategorien zu messen: an Ethos, an Verantwortung, an der Geschichte, die sie mittragen.
Denn wenn das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz bröckelt, dann ist es nicht ein einzelner Richter, der fällt – sondern die Institution selbst, die zum Fundament einer Demokratie gehört. Weimar hat vorgemacht, wie gefährlich diese Erosion sein kann. Gera lieferte einen Testfall dafür, ob wir die Lehren daraus ernst nehmen.
Quellen
- Podolski, Tanja: »Anklage gegen den Richter Bengt Fuchs erhoben«, Legal Tribune Online (LTO), 12.06.2025.
- Landgericht Gera: Pressemitteilung »Vorwurf der Volksverhetzung – Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens«, 18.07.2025.
- LTO-Redaktion: »Kein Strafprozess gegen Richter Bengt Fuchs«, LTO, 25.07.2025.
- taz: »Rechter Richter Bengt Fuchs – Abgeordnet ins Justizministerium«, taz.de, 2024/2025.
- Verfassungsblog: »Institutioneller Rassismus in der Justiz«, verfassungsblog.de, 2021.