New Gaza, alte Reflexe

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Warum Trumps Gaza-Plan mehr nach Treuhandverwaltung als nach politischer Lösung aussieht: Er verspricht Abrüstung, Aufbau und »Frieden durch Management«. Doch sein institutionelles Design – ein von Donald Trump geleitetes Aufsichtsgremium, flankiert von Tony Blair – schafft Legitimations-, Rechts- und Umsetzungsrisiken, die größer sind als die Schlagzeilen.

Was steht wirklich drin?

Kernversprechen: Sofortiges Ende der Kampfhandlungen, wenn beide Seiten zustimmen; binnen 72 Stunden Freilassung aller israelischen Geiseln (lebend und tot) gegen eine große Zahl palästinensischer Gefangener; anschließend Stufenplan: IDF-Rückzug entlang definierter Meilensteine, vollständige Demilitarisierung Gazas unter unabhängiger Überwachung, massive humanitäre Hilfe, Wiederaufbau von Wasser-/Strom-/Gesundheitsinfrastruktur, Räumung von Trümmern. Governance: eine »technokratische, apolitische« palästinensische Übergangskommission – überwacht von einem neuen internationalen Gremium, dem „Board of Peace“, geleitet von Donald Trump, mit weiteren Staats- und Regierungschefs, explizit Tony Blair. Hinzu kommen Spezialwirtschaftszone, Investitionspanel und eine internationale Stabilisierungstruppe (ISF), die mit Jordanien und Ägypten kooperiert und palästinensische Polizeikräfte aufbaut. Israel soll Gaza nicht annektieren, aber bis zur »vollständigen Sicherheit« einen Sicherheitsgürtel aufrechterhalten dürfen.

Der Plan referenziert ausdrücklich das Hilfs- und Grenzregime des Abkommens vom 19. Januar 2025 (Rafah-Mechanismus, Aid-Skalierung) – jenes drei­phasige Paket aus Gefangenen-/Geiselaustausch, Waffenruhe und Wiederaufbau, das damals von USA, Ägypten und Katar vermittelt und vom UN-Sicherheitsrat gestützt wurde.

Benjamin Netanjahu stellte sich öffentlich hinter das Paket; die EU-Spitze signalisierte Unterstützung. Hamas ließ verlauten, man prüfe den Text »in good faith« – klare Zustimmung oder Ablehnung blieb zunächst aus. Diese Asymmetrie – staatliche Exekutivspitzen nicken, die entscheidende bewaffnete Organisation laviert – ist kein gutes Omen für eine 72-Stunden-Maximalforderung.

Governance-Design: Treuhand-Optik und koloniale Schatten

Ein von Trump geleitetes Aufsichtsgremium über palästinensische Übergangsverwaltungen – samt Tony Blair – ist politisch hochexplosiv. Trumps Doppelrolle als Parteigänger Israels und als Schiedsrichter über Gaza beschädigt die geforderte Neutralität schon semantisch. Blairs geplanter Posten weckt – über seine Irak-Rolle und die mäßigen Erträge seiner Nahost-Gesandtschaft (2007–2015) – Misstrauen in der Region. Bereits in den ersten Reaktionen wurde genau diese Legitimitätslücke benannt. Aus palästinensischer Perspektive riecht das Set-up nach »Friedensprotektorat« statt nach Selbstbestimmung.

Selbst wenn man Pragmatismus über Symbolik stellt: Ein Board of Peace, das nicht von einer UN-Resolution mandatiert, sondern von Washington gesetzt wird, träfe auf dieselben Akzeptanzbarrieren wie frühere »Quartett-Plus«-Ansätze – nur ohne multilaterale Flankierung. Das ist nicht nur branding-, sondern strukturpolitisch schwach.

Rechtslage: Amnestie, aber bitte ohne Kernverbrechen

Der Plan bietet Hamas-Mitgliedern Amnestie bei Waffenabgabe und »Commitment zur Koexistenz«. Hier kollidiert politische Zweckmäßigkeit mit dem Völkerrechtsrahmen: Die UN-Menschenrechtsrichtlinien zu Amnestien sind eindeutig – keine Amnestie für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völkermord. Auch der ICC wäre an nationale oder ad-hoc-Amnestien nicht gebunden. Ergebnis: Wer amnestiert, verspricht etwas, das international nicht haltbar sein könnte – und riskiert späteren Rechtsbruch oder politischen Vertrauensverlust.

Das gleiche Dilemma spiegelt die Gegenseite: Die geplante Freilassung Hunderter Gefangener, darunter Langzeit-Insassen, ist in Israel neuralgisch. Ohne ein robustes Transitional-Justice-Paket (Wahrheits-/Entschädigungsmechanismen, klare Unterscheidung politischer von Kernverbrechen) droht beidseits ein Backlash, der die Implementierung schon im ersten Schritt delegitimiert.

Sicherheitsarchitektur: Entwaffnen im Trümmerfeld

»Demilitarisierung« klingt sauber, ist es aber selten. Tunnelsysteme, atomisierte Zellen, splittrige Befehlsstrukturen – all das lässt sich nicht wie bei der IRA mit einem De-Commissioning-Tag erledigen. Der Plan setzt auf ISF + palästinensische Polizei und Buy-Back-Programme. Das ist Handwerkszeug der Entwaffnung, aber in Gaza ohne klare Waffen-, Grenz- und Schmuggel-Kontrolle ein Torso. Kritisch ist die Sicherheitsperimeter-Klausel: Solange die IDF ein »Rest-Mandat« am Rand behält, riecht es für Palästinenser:innen nach fortgesetzter Besatzung. Für Israel ist die Klausel wiederum der einzige Exit-Airbag. Genau diese Doppellesbarkeit ist gefährlich – sie lädt zur Dauerprovisorik ein.

Humanitär-ökonomischer Hebel: Ohne Blockade-Ende kein »Mirakel«

Die Wiederanbindung an den 19. Januar-Mechanismus (Rafah, Aid-Skalierung) ist sinnvoll – aber sie basiert auf einer Waffenruhe-Logik, die nachweislich fragil war. Schon in den ersten Tagen 2025 standen Vorwürfe von Verstößen, Verzögerungen und Sicherheitsvorbehalten im Raum. Überträgt man dieses Muster in eine noch komplexere Aufbauphase, drohen Liefer-Stotterer mit politischer Sprengkraft.

Ökonomisch verspricht der Plan »miracle cities«-Kompetenz und eine Sonderwirtschaftszone. Doch Investitionen fließen nur, wenn Eigentumsrechte, Grenzregime, Energie-/Wasserzugang und Bewegungsfreiheit verlässlich sind. Der Text schweigt zur vollständigen Aufhebung der Bewegungseinschränkungen – ohne die aber bleibt jede SEZ ein PR-Artefakt. Die Erfahrung anderer Post-Konflikt-SEZs: Sie können Jobs bringen, aber ohne Rechte- und Zollreformen kippen sie in Enklavenökonomien, die soziale Spannungen eher verstärken.

Politischer Horizont: Staatlichkeit als Eventualität

Der Plan lässt einen »credible pathway« zu palästinensischer Selbstbestimmung in Aussicht – wenn die PA Reformen »absolviert«. Parallel treiben Frankreich und Saudi-Arabien ihr Zwei-Staaten-Format voran; dort werden PA-Reformen konkretisiert (Schulcurricula, Zahlungen, Wahlen binnen eines Jahres nach Waffenstillstand). Im Trump-Papier bleibt der Horizont dagegen vage, die Westbank-Fragen (Siedlungen, Gebietskontrolle, Bewegungsfreiheit) ausgekoppelt. Wer Gaza ohne Westbank denkt, schafft kein politisches Gleichgewicht, sondern eine Dauer-Interimsordnung.

Umsetzungslogik: Ultimatum + Großpaket = Risiko

Das 72-Stunden-Geisel-Ultimatum ist politisch verständlich – praktisch ist es ein Hochrisiko-Trigger: Schon kleine Verzögerungen (identifizierte Leichname, medizinische Notfälle, interne Friktionen) können den gesamten Fahrplan sprengen. Für die ISF gilt: Ohne klare Mandatierung (idealerweise UN-Mandat), robuste Rules of Engagement und eine glaubwürdige Exit-Strategie wird sie zwischen IDF-Sicherheitsgürtel, ägyptischen Grenzinteressen und palästinensischem Misstrauen aufgerieben.

Nichts in Gaza funktioniert gegen die gesellschaftliche Mikrologik: Familiennetzwerke, professionelle Klientelstrukturen, Hilfsökonomien. Ein von außen gesetzt-supervidierter Übergangsrat ohne erkennbare Bottom-Up-Legitimation produziert die nächsten Schatten-Verwaltungen. Und solange das politische Narrativ lautet: »Erst Entwaffnung, dann Rechte«, bleibt die Reihenfolge für die von Krieg Traumatisierten ein Hohn. Sicherheit ohne Gerechtigkeit ist Verwaltung, kein Frieden.

Chancen – wenn man sie ernst nimmt

Es gibt Elemente, die tragfähig wären:

  • Klarer Sequenzplan (Geiseln ↔ Gefangene, Stufenrückzug, Aid-Boost) – sofern realistisch getaktet.
  • Institutionalisierte Deconfliction zwischen IDF, ISF, Polizei – falls UN-überwacht.
  • Reform-Verzahnung mit dem saudisch-französischen Track – wenn dieser bindende Zusagen Richtung Staatlichkeit liefert.
  • Verifizierte Demilitarisierung mit realen Exit-Optionen für Kämpfer – ohne blanket amnesties für Kernverbrechen.

Fazit

Trumps Gaza-Plan ist weniger Friedensvertrag als Projekt-Exposé: Er sortiert Baustellen, verteilt Rollen, verspricht Kapital und Sicherheit – ohne die politische Souveränitätsfrage entschieden anzugehen. Die Idee eines von Trump präsidierten »Board of Peace« ist kommunikativ brillant und legitimationspolitisch fatal. Die Amnestie-Passagen sind völkerrechtlich unterkomplex, die Sicherheitsarchitektur lädt zur Endlos-Interimsphase ein, und der ökonomische Teil ignoriert die harte Realität aus Grenzen, Genehmigungen und Bewegungsrechten.
Wer wirklich Frieden will, muss die Reihenfolge umdrehen: Legitimation zuerst (mandatierter Übergangsprozess, Wahlen mit garantierter Bewegungsfreiheit, rechtsfeste Übergangsjustiz), dann Demilitarisierung als Ergebnis, nicht als Vorbedingung. Sonst bleibt »New Gaza« ein alter Reflex: Verwaltung statt Politik.


Quellen/Hinweise (Auswahl): zentrale Inhalte und Reaktionen, 19.1.-Mechanismus, Governance-Kritik, Rechtslage Amnestien: Reuters-Volltext/News, Al Jazeera, UN/ICC-Rahmen, EU/Saudi-Frankreich-Track.

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

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