Cassif wirft Regierung Genozid in Gaza vor

C

Der israelische Politiker Ofer Cassif hat der Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu vorgeworfen, im Gazastreifen einen geplanten »genozidalen Feldzug« durchzuführen. In einem Interview mit dem unabhängigen Online-Medium acTVism Munich kritisierte der suspendierte Abgeordnete der linken Hadash-Partei scharf das militärische Vorgehen Israels, die Verfolgung kritischer Stimmen im eigenen Land und warnte vor einem drohenden inneren Zerfall des Staates Israel.

Cassif, Professor für Philosophie und Politik, sprach von einem »gezielten Plan« der Regierung, der über reine Sicherheitspolitik hinausgehe. Ziel sei es, die palästinensischen Gebiete dauerhaft zu annektieren, deren Bevölkerung zu vertreiben und Widerstand gewaltsam zu unterdrücken. »Es handelt sich nicht um eine spontane Reaktion auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023, sondern um eine seit Jahren vorbereitete Strategie«, sagte er.

Ofer Cassif selbst ist seit 2016 Mitglied der Knesset, wurde aber mehrfach von Parlamentsaktivitäten ausgeschlossen. Hintergrund sind öffentliche Stellungnahmen, in denen er Israel des Völkermords bezichtigte und die südafrikanische Klage vor dem Internationalen Gerichtshof unterstützte. »Wer in Israel heute die Stimme erhebt, riskiert Suspendierung, Arbeitsplatzverlust oder sogar Haft«, erklärte er. Auch Angehörige israelischer Geiseln seien von staatlicher Repression betroffen.

Nach Cassifs Darstellung entwickle sich die Polizei zunehmend zu einem »Instrument der Regierung« und schikaniere Demonstrierende. Er zog Parallelen zur Weimarer Republik und sprach von einer Atmosphäre, die in Teilen an Deutschland in den 1930er Jahren erinnere.

Laut Vereinten Nationen sind seit Beginn der israelischen Militäroperationen mehr als 61.700 Menschen im Gazastreifen ums Leben gekommen. Hilfsorganisationen berichten von Hungersnöten und akuter medizinischer Unterversorgung. Cassif betonte, dass die Notlage kein unbeabsichtigter Nebeneffekt, sondern Ergebnis einer bewussten Politik sei. »Es handelt sich um gezielte Aushungerung und Austrocknung der Zivilbevölkerung«, sagte er.

Das israelische Vorgehen hat international scharfe Kritik ausgelöst. Mehrere westliche Staaten, darunter Frankreich, Kanada und Australien, äußerten die Befürchtung, das Vorgehen verstoße gegen das Völkerrecht. Deutschland kündigte einen teilweisen Stopp von Waffenexporten an, die in Gaza eingesetzt werden könnten.

Cassif bewertet diese Maßnahmen als unzureichend. »Es ist zu wenig und zu spät. Wer Israels Sicherheit wirklich will, muss Sanktionen verhängen, nicht Waffen liefern«, erklärte er. Die eigentliche Gefahr für die israelische Bevölkerung gehe von der eigenen Regierung aus. Netanjahu sei nur auf seine persönliche Machtsicherung bedacht, während er das Land in einen dauerhaften Konflikt führe.

Neben der humanitären Situation in Gaza sprach Cassif auch über die Lage im eigenen Land. Er warnte vor wirtschaftlichen Problemen, zunehmender sozialer Polarisierung und wachsender Gewaltbereitschaft. »Wir stehen am Rande eines Bürgerkriegs«, sagte er. Politische Morde seien nach seiner Einschätzung nicht ausgeschlossen. Auch wirtschaftlich gerate Israel zunehmend unter Druck; internationale Investoren äußerten Zweifel an der Stabilität.

Trotz seiner scharfen Kritik hält Cassif an der Zwei-Staaten-Lösung fest. Ein einheitlicher Staat sei unter den gegenwärtigen Machtverhältnissen nicht realistisch und würde lediglich ein Apartheid-System zementieren. »Die Palästinenser haben Anspruch auf einen eigenen Staat in den Grenzen von 1967«, betonte er. Nur auf dieser Grundlage könne eine spätere Konföderation oder ein gemeinsamer Staat entstehen.

Ofer Cassif, geboren 1964, studierte Politische Philosophie an der Hebräischen Universität Jerusalem und promovierte an der London School of Economics. Anschließend war er als Postdoktorand an der Columbia University in New York tätig. Seit 2016 sitzt er für die jüdisch-arabische Hadash-Partei in der Knesset, bis zu seiner Suspendierung 2025. Seine Partei ist Teil des Gemeinsamen Listenbündnisses, das sich für soziale Gerechtigkeit und ein Ende der Besatzungspolitik einsetzt.

Das Interview führte Zain Raza, Gründer von acTVism Munich. Die Organisation beschreibt sich als unabhängiges, gemeinnütziges Medienportal, das keine Gelder von Regierungen oder Unternehmen annimmt und sich über Spenden finanziert. Neben Interviews veröffentlicht acTVism Panel-Diskussionen, Analysen und Übersetzungen internationaler Beiträge. Ziel ist es, kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die in etablierten Medien wenig Raum erhalten.

Cassif steht mit seinen Positionen in Israel isoliert da. Seine Suspendierungen und die massiven politischen Angriffe machen deutlich, wie scharf die Auseinandersetzung um Kritik an der Gaza-Politik geführt wird. International findet er dagegen Gehör.

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

By Holger Elias

Neueste Beiträge

Archive

Get in touch