Fünf Prozent für Daddy

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Mark Rutte gibt auf dem NATO-Gipfel den Verteidigungsfürsten im Windschatten von Donald Trump. Seine Reden offenbaren eine Rhetorik der Anpassung, durchsetzt von Euphemismen, devoten Loyalitätsformeln und einem neuen Ton militärischer Selbstverständlichkeit. Eine Analyse des verbalen Schulterschlusses mit Washington – im Namen der Abschreckung.


»Daddy«, sagte Rutte. Und meinte Trump. Auf der Pressekonferenz des NATO-Gipfels klang es wie eine Pointe – war aber keine. Vielmehr bündelte dieser beinahe peinliche Ausrutscher das, was sich in drei Tagen verbaler Hochrüstung und geopolitischer Inszenierung wie ein roter Faden durch die Statements des neuen NATO-Generalsekretärs zog: die demonstrative Loyalität zu einem Mann, der das Bündnis seit Jahren infrage stellt. Und der es doch in seiner paradoxen Funktion als Drohkulisse zu nie dagewesener Gefolgschaft formt.

Was Mark Rutte an diesen Tagen in Den Haag sprach, glich einem Rhetorik-Lehrstück im Dienste der transatlantischen Vertrauenssicherung. Nur: Vertrauen wird nicht durch Transparenz oder Augenhöhe gesichert, sondern durch Performanz. Und diese lautete: Machtdemonstration mit dem Zusatzmodul »demütige Dankbarkeit«.


Vom Schutzversprechen zur Schuldenmoral

»We fight together. And if necessary, we also die together.« Was als pathetisches Bekenntnis zur Bündnistreue inszeniert wurde, wirkte bei genauerer Betrachtung wie eine Mischung aus Treueid und moralischer Erpressung: Wer nicht 5 Prozent seines BIP für Rüstung ausgibt, steht künftig außerhalb der symbolischen NATO-Gemeinschaft – nicht formal, aber diskursiv.

Die neue Rhetorik setzt auf:

  • quantifizierte Loyalität: 2 %, 3,5 %, nun 5 % – Rüstungsquoten werden als Prüfstein politischer Reife stilisiert; wer zahlt, darf mitreden.
  • disziplinierende Gleichsetzung: Wer nicht liefert, gefährdet die Sicherheit »von einer Milliarde Menschen«.
  • moralische Inversion: Aus Krieg wird Abschreckung, aus Aufrüstung wird Friedenssicherung, aus wirtschaftlichem Druck wird »Fairness«.

Und immer wieder fällt das Stichwort vom »fair share« – als hätte Trump höchstpersönlich das Drehbuch geschrieben. Die NATO im 75. Jahr ihres Bestehens redet nicht mehr über gemeinsame Werte, sondern über gleichmäßige Zahlungsflüsse. Es ist das Bündnis als Kosten-Nutzen-Bilanz – und Rutte ist dessen Bilanzprüfer.


Rutte: Moderator, Manager, Mutmacher?

Rutte präsentierte sich als Brückenbauer und kühler Rechner. Doch was sich als Konsensmanagement verkleidet, trägt die Handschrift einer Rhetorik, die von der hegemonialen Vorgabe des Weißen Hauses längst absorbiert wurde.

Einige seiner prägnanten O-Töne:

  • »Only the United States is capable to do this.«
  • »President Trump deserves praise for taking decisive action.«
  • »We should stop worrying about the United States.«

Letztere Aussage wiederholte Rutte in variierter Form gleich mehrfach – fast schon beschwörend, als wolle er nicht die Öffentlichkeit, sondern sich selbst beruhigen.

Der ehemalige niederländische Regierungschef spricht die Sprache des Managements – und unterwirft sich zugleich dem politischen Stil Trumps, indem er persönliche Freundschaft, militärische Führungsstärke und ökonomische Potenz zu einer hegemonialen Einheit verklärt. Die NATO als Verteidigungsfirma, Trump als CEO, Rutte als Europa-Vertrieb.

Ein weiterer auffälliger rhetorischer Zug: die Re-Kontextualisierung des Völkerrechts. Während etwa Kaja Kallas Zweifel an der Rechtmäßigkeit des US-Angriffs auf iranische Atomanlagen äußerte, blieb Rutte glasklar: »What the US did last weekend is justified.« Warum? Weil die NATO »always said«: Iran darf keine Nuklearwaffen besitzen.

Diese Rhetorik schiebt das rechtliche Urteil der politischen Intention unter. Das Völkerrecht wird zur bloßen Funktion militärstrategischer Erwägungen degradiert – eine Praxis, die man sonst vor allem autokratischen Systemen vorwirft.


Rutte als Transmitter amerikanischer Interessen

Mark Rutte mag auf dem Papier der erste NATO-Generalsekretär aus den Niederlanden sein, in der Praxis aber gibt er sich in Den Haag wie ein amerikanischer Gouverneur auf Zeit: loyal bis zur Selbstverleugnung, angepasst bis zur Selbstparodie. Die transatlantische »Lastenverteilung«, die einst Ausdruck politischer Komplementarität war, wurde unter Rutte zur Pflichtübung einer fiskalisch bemessenen Ergebenheit.

Trump, so ließ Rutte keinen Zweifel, sei nicht nur willkommen, sondern strukturgebend für die neue Allianzlogik: »Would we have reached this agreement without Trump? Of course not.« Was in früheren Jahren als peinlicher Kotau gegolten hätte, wird unter Rutte zur strategischen Klugheit umgedeutet.

Es ist die NATO unter der Maxime des Appeasements gegenüber Washington: Nicht mehr Abschreckung durch Stärke, sondern Vermeidung von Trumps Launen durch vorauseilende Gefolgschaft.

Die Gipfelkommunikation geriet zur Bühne des Konjunktivs:

  • »What if Trump asks for more than 5 percent?«
  • »What if Article Five is reinterpreted?«
  • »What if US troops withdraw unannounced?«

Ruttes Antwort darauf: »Let’s stop worrying.« Und: »He is a man of peace.« Die NATO – so vermittelt es der neue Generalsekretär – soll lernen, mit Unberechenbarkeit zu leben, indem sie sich ihr unterwirft.


Zwischen Erpressung und Eigensabotage

Während Rutte unermüdlich betont, wie »fair« die neuen Verteidigungsziele seien, verschleiert er zugleich, wie ungleich die Realität bleibt. Der Satz »We are equalizing with the US« wirkt wie ein Mantra zur Selbsttäuschung – denn gleichgestellt ist hier niemand. Die europäische Rüstungspolitik bleibt fragmentiert, innovationsarm, abhängig von amerikanischer Infrastruktur.

Rutte betreibt rhetorische Eigenverzwergung: Die EU wird zur Zuschauerin am Tisch, der transatlantische Schulterschluss zur Einbahnstraße. Sätze wie »Only the US has B-2s«, »Only the US can do this«, »Only the US has the capacity« lassen keinen Zweifel: Die NATO ist nicht Partner der Vereinigten Staaten, sondern ihre erweiterte Logistikplattform.

Und was sagt Europa? Nichts. Außer »wir liefern«. Auch 35 Milliarden Euro jährlich für die Ukraine ersetzen keine gemeinsame Strategie. Dass die Indo-Pazifik-Partner Japan, Australien und Südkorea auf Regierungsebene gar nicht erschienen, wurde kaum kommentiert – die EU schon gar nicht. Der Gipfel war westlich, aber nicht europäisch.


Das Vokabular der Verrohung

Man muss Ruttes Wortwahl nicht linguistisch sezieren, um ihren Bedeutungswandel zu verstehen. Es genügt, ihr zu folgen:

  • »A stronger, fairer and more lethal Alliance«
  • »Quantum leap in defence investment«
  • »Unwavering support«
  • »Devastating response«

Die Sprache des neuen NATO-Generalsekretärs hat einen Klang angenommen, der mit dem klassischen Sicherheitsdiskurs der letzten Jahrzehnte kaum noch verwandt ist. »Lethal« – also tödlich – war früher ein Begriff für Bedrohungen. Nun ist er Zielvorgabe. »Devastating« war die Beschreibung von Kriegsausbrüchen. Jetzt beschreibt es den Zustand wünschenswerter Schlagkraft.

So wird aus Verteidigung Offensive, aus Sicherheitsarchitektur ein Rüstungsökosystem – ökonomisch aufgeladen, rhetorisch moralisch überhöht. Wenn Rutte sagt, die Rüstungsinvestitionen würden »millions of jobs« schaffen, klingt es nicht mehr nach Abschreckung, sondern nach Rüstungs-Subventionismus. Und niemand fragt, was es bedeutet, wenn Frieden durch Jobversprechen ersetzt wird.


Gipfel als performative Loyalitätsprüfung

So sehr Rutte sich mühte, die NATO als souveräne Struktur darzustellen, so sehr war der Schatten des amerikanischen Präsidenten allgegenwärtig. Mehr als 20 Mal fiel Trumps Name explizit – noch öfter implizit. Der Begriff »Trump Summit«, den Marco Rubio in den Ring warf, wurde von Ruttes Team nicht dementiert. Im Gegenteil: Es sei »nur fair«, dem Präsidenten »some praise« zu geben.

Rutte ging noch weiter: Er lobte die B-2-Angriffe auf Iran als »surgical, decisive and justified«. Auf juristische Fragen reagierte er mit Ausflüchten, flankiert von der bemerkenswerten Aussage: »History made the US the leader. And history made you (Trump) the one to act.«

Es war die rhetorische Inthronisierung eines Mannes, der mit ebendieser Geschichte nichts anfangen kann – außer sie für sich zu vereinnahmen. Die NATO, so der Subtext des Gipfels, ist nicht mehr Hüterin eines multilateralen Ordnungsverständnisses. Sie ist Exekutorin amerikanischer Willensbildung – mit gelegentlichen Rückfragen.


Vom Bündnis zur globalen Rüstungsagentur

Wer die Reden von Mark Rutte auf diesem Gipfel liest, sieht keine bloße rhetorische Akzentverschiebung. Man sieht eine institutionelle Transformation: Die NATO spricht nicht mehr als sicherheitspolitisches Kollektiv, sondern als Auftragsverwalter einer geopolitischen Agenda, die sich immer stärker mit der strategischen Linienführung des Weißen Hauses deckt.

Die 5 % Zielmarke, die Ukraine-Milliarden, die Verteidigungsindustrieforen – sie alle wirken wie Bestandteile eines neuen Komplexes aus Militär, Markt und Moral, dessen Ziel nicht mehr in einer Welt ohne Krieg liegt, sondern in einer Welt mit kalkulierbarer Dominanz.

Mark Rutte ist in dieser Entwicklung nicht Täter, sondern Transmissionsriemen. Aber gerade das macht ihn gefährlich: Er formuliert das Neue mit dem Pathos des Alten, die Militarisierung mit dem Zungenschlag der Vernunft, die westliche Selbstermächtigung mit der Attitüde des »kollektiven Schutzes«.


Quellenverzeichnis und Redenachweise:

  • NATO Public Statements, 23.–25. Juni 2025, www.nato.int
  • Live-Mitschnitte der Pressekonferenzen via NATO Youtube Channel
  • Transkriptionen: NATO Summit Defence Industry Forum, NATO Public Forum, Press Briefings
  • Analyse der Rhetorik: in Anlehnung an Ruth Wodak (»Politics of Fear«) und George Lakoff (»Moral Politics«)
  • Interviewzitate u. a. mit Deborah Haynes (Sky News), Ellen Francis (Washington Post), Kaitlan Collins (CNN)
  • Beobachtungen zur Trump-Rezeption: Rubio-Zitat aus »Politico«, 24.06.2025

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

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