Es beginnt, wie so oft, mit einem Satz, der wie beiläufig daherkommt, aber eine ganze Zivilisation beschreibt: »Ein Mann sollte bereit sein, seine Familie mit Gewalt zu verteidigen.« In der neuen Studie von Alexander Yendell (FGZ Leipzig) und David Herbert (Universität Bergen) ist dieser Satz nicht bloß eine Meinungsabfrage, sondern ein Seismograph für die Gewalt im Denken. Über 1.000 Befragte in Großbritannien zeigen darin, was in vielen Gesellschaften längst sedimentiert ist: Krieg hat ein Geschlecht. Und es ist männlich.
Die empirische Pointe ist drastisch: Kein anderer Faktor sagt die Zustimmung zu Kriegen so zuverlässig voraus wie die Zustimmung zu gewaltlegitimierenden Männlichkeitsbildern. Nicht Armut, nicht Bildung, nicht einmal politische Orientierung schlagen so stark zu Buche wie das starre Ideal des »starken Mannes«. Wer an männliche Pflicht zur Härte glaubt, wer Dominanz als Tugend empfindet, befürwortet auch Bomben als Argument.
Die Forschenden fügen ihrer Untersuchung eine zweite, dunkle Schicht hinzu: Sadismus. Das klingt nach Pathologie, ist aber als psychologisches Merkmal statistisch signifikant. Menschen, die Lust empfinden, andere leiden zu sehen, neigen stärker zur Rechtfertigung von Krieg. Die »Freude am Quälen« – ein Begriff, der sonst in Kriminalprofilen auftaucht – tritt hier als gesellschaftliches Dispositionsmerkmal zutage.
Damit schließt sich ein Kreis, den schon Adorno in den »Studien zum autoritären Charakter« gezogen hatte: Der autoritäre Mensch ist nicht einfach gehorsam – er genießt Gehorsam und Strafe zugleich. Die Leipziger Studie aktualisiert diese Diagnose empirisch: Autoritäre Unterordnung, rigide Geschlechternormen, sadistische Züge – sie alle verstärken sich gegenseitig zu einem psychosozialen Komplex, der Kriege denkbar, ja wünschenswert erscheinen lässt.
Das autoritäre Begehren
Yendell und Herbert führen die politische Diskussion dorthin zurück, wo sie ungern verweilt – ins Innere des Subjekts. Sie zeigen, dass Kriege nicht nur von Staaten gemacht werden, sondern von Menschen, die gelernt haben, Gewalt als moralisch möglich zu denken. In ihrer Regressionsanalyse erklärt das Bündel aus autoritärer Unterordnung, Radikalismus und Männlichkeitsgewalt fast 40 Prozent der Kriegsbefürwortung. Das ist, sozialwissenschaftlich gesprochen, ein Erdbeben.
Es unterläuft die bequeme Vorstellung, dass Kriege vor allem Resultate »falscher Politik« seien – als könnten bessere Staatsmänner den Frieden herbeireden. Die Studie legt offen: Es sind Charakterstrukturen, die Konflikte tragen. Wer früh gelernt hat, sich unterzuordnen und zugleich zu dominieren, reproduziert im Großen, was im Kleinen erfahren wurde: Gewalt als Ordnung.
Dabei entlarvt die Untersuchung auch das Missverständnis der liberalen Selbstvergewisserung, wonach demokratische Gesellschaften immun gegen autoritäre Versuchungen seien. Die Datengrundlage stammt aus Großbritannien, einem Land, das sich gern als »Mutter der Demokratie« versteht. Doch die Muster ähneln denen, die man gemeinhin mit Autokratien verbindet: der Kult des Starken, die Abwertung des Schwachen, das reflexhafte Vertrauen in militärische Autorität.
Dass Männer über alle Altersgruppen hinweg signifikant kriegsaffiner sind als Frauen, überrascht kaum – doch die Begründungstiefe erschüttert. Nicht Biologie, sondern Sozialisationslogik: Gewalt, so das Ergebnis, wird dort normalisiert, wo Härte als männliche Pflicht gilt. Ein Satz wie »Junge, heul nicht!« erweist sich im Rückblick als Einübung ins Schweigen über Gewalt – und in deren Akzeptanz.
Vom Vater zum Führer
Die Autoren verknüpfen ihre Daten mit einer langen intellektuellen Linie: von Freud über Reich bis Theweleit. Dessen »Männerphantasien« lesen sich wie das psychologische Drehbuch, das nun empirisch bestätigt wird. Die Fantasie des unverwundbaren Körpers, der lieber zerstört als sich berühren lässt, findet ihr politisches Pendant in der militarisierten Nation. Krieg als kollektive Abwehrreaktion gegen das eigene Gefühl.
So betrachtet, ist Wladimir Putin kein Ausreißer, sondern ein Exponat. Der »starke Mann« als Staatsideal, die Verachtung von Schwäche, die sexualisierte Sprache der Macht – all das bildet den kulturellen Resonanzraum, in dem Gewalt Zustimmung erfährt. Doch die Studie mahnt: Solche Dispositionen sind keine russische Spezialität. Sie schlummern auch in den »friedliebenden« Demokratien des Westens, die ihre Kriege lieber »Einsätze« nennen.
Die Daten lassen keinen Zweifel: Autoritäre Unterordnung ist der zweite zentrale Prädiktor von Kriegsbefürwortung. Wer an Autoritäten glaubt, traut ihnen auch den Krieg zu. Diese psychologische Logik wirkt bis in die Gegenwart des »wertebasierten« Westens: Wenn Regierungen militärische Aufrüstung als moralische Pflicht verkaufen, stoßen sie nicht etwa auf Skepsis, sondern auf das Bedürfnis, sich geführt zu wissen.
Das stille Einverständnis
Interessant ist, was die Studie nicht findet: Empathie, so sollte man meinen, wäre der natürliche Gegenspieler militärischer Gesinnung. Doch im Modell verliert sie statistische Bedeutung. Mitgefühl allein schützt offenbar nicht vor dem Einverständnis mit Gewalt, solange autoritäre Denkmuster intakt bleiben. Der humane Impuls versickert in der Disziplin.
Ebenfalls bemerkenswert: Die oft belächelte »Verschwörungsmentalität« wirkt, sobald man die autoritären Variablen kontrolliert, sogar leicht anti-militaristisch. Misstrauen gegenüber Institutionen kann also auch als Friedensressource wirken – eine unbequeme Erkenntnis in Zeiten, in denen Skepsis schnell als staatsgefährdend gilt.
Die gesellschaftliche Konsequenz daraus ist doppelt: Wer Frieden will, muss nicht nur Waffen ächten, sondern auch die seelischen Werkstätten der Gewalt. Das betrifft Erziehung, Popkultur, Medien, Religion – überall dort, wo Männlichkeit über Stärke definiert und Schwäche pathologisiert wird. Der Krieg beginnt nicht an der Front, sondern im Vaterwort: »Reiß dich zusammen.«
Demokratie der Sanftheit
Was Yendell und Herbert mit Zahlen zeigen, ist letztlich eine alte Erkenntnis der Kritischen Theorie: Autoritäre Charaktere produzieren autoritäre Verhältnisse. Die Demokratie lebt nicht vom Wahlrecht allein, sondern von der Fähigkeit, Schwäche zuzulassen, Empathie zu kultivieren und Macht zu misstrauen.
Doch in einer Zeit, in der »Wehrhaftigkeit« wieder zum Zauberwort der Politik avanciert, klingt diese Botschaft fast subversiv. Wer gegen Krieg ist, gilt rasch als naiv. Friedfertigkeit wird zur moralischen Verdachtskategorie. Die Studie kontert diese Rhetorik mit empirischer Nüchternheit: Nicht die Pazifisten sind gefährlich, sondern die Männer, die gelernt haben, Härte für Mut zu halten.
Ihre Daten erzählen eine Geschichte der Verdrängung: von der brutalen Kindheit zur patriotischen Pose, von der Angst zur Aggression. Das erklärt nicht jeden Krieg, aber es erklärt, warum Kriege immer wieder als »notwendig« erscheinen. Sie sind das politische Produkt eines psychischen Reflexes.
Vielleicht ist die eigentliche Zumutung dieser Forschung, dass sie den Krieg entmystifiziert. Er ist kein Schicksal, keine Strategie, kein Naturgesetz – er ist ein Charakterzug. Und dieser Charakter lässt sich verlernen.
Das aber verlangt, woran Demokratien derzeit Mangel leiden: eine Kultur der Selbstreflexion. Die Bereitschaft, das eigene Gewaltbegehren zu erkennen – in der Sprache, in den Bildern, in der Art, wie Jungen zu Männern gemacht werden.
Die Leipziger Studie ist in diesem Sinne weniger eine Warnung als ein Spiegel. Sie zeigt, dass der Weg zum Frieden nicht über Verhandlungen, sondern über Bewusstwerdung führt. Über die Frage, was aus einem Menschen wird, der nie weinen durfte.
Quelle:
Alexander Yendell & David Herbert (2025): Authoritarianism and the Psychology of War: Exploring Personality Traits in the Legitimation of Military Conflict, Politics & Governance, Vol. 13, Article 10292, Open Access.