Pretoria zwischen Prinzip und Pragmatismus

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Der Eklat kam mit Ansage: Südafrikas oberster Soldat, General Rudzani Maphwanya, reiste nach Teheran, sprach von »gemeinsamen Zielen« und lobte die Vertiefung militärischer Zusammenarbeit – und löste daheim einen Sturm aus. Die Präsidentschaft nannte den Trip »unglücklich«, die liberalkonservative DA verlangte ein sofortiges Kriegsgericht, zivilgesellschaftliche Gruppen die Absetzung, während die Kommunistische Partei (SACP) die »inszenierte Hysterie« geißelte. Hinter dem Streit liegt die größere Frage: Wie souverän ist Südafrikas Außenpolitik – und wie glaubwürdig ihr Anspruch auf »strategische Nicht-Ausrichtung« im Eiswind der neuen Blockpolitik?

Was faktisch geschah

Nach übereinstimmenden Berichten traf Maphwanya in Teheran hochrangige Militärs und signalisierte politische wie militärische Nähe. Das fiel in eine heikle Phase: Pretoria bemüht sich parallel um handelspolitische Entlastungen gegenüber Washington – und um Schadensbegrenzung im Verhältnis zum Westen insgesamt. Genau deshalb wertete die Präsidentschaft die Reise als »ill-advised«. Al Jazeera berichtete von wachsendem Entlassungsdruck, Daily Maverick und TimesLIVE von einem klärenden Gespräch mit Präsident Ramaphosa.

Brisant ist weniger die Reise an sich – die Verteidigungsministerin Angie Motshekga ließ über ihr Haus erklären, sie habe den Besuch genehmigt – als der Ton: Ein uniformierter Spitzenbeamter, der im Ausland politische Botschaften sendet, kratzt an der verfassungsrechtlich gebotenen A-Politisierung der Truppe. Genau hier setzt die DA an und fordert das Kriegsgericht wegen »politischen Freelancings«.

Die juristische Sollbruchstelle

Der südafrikanische Militärkodex und das Military Discipline Supplementary Measures Act schreiben Neutralität und politische Zurückhaltung vor. Ein SANDF-Chef darf fachlich reden – über Ausbildung, Beschaffung, Einsätze –, nicht aber parteipolitische oder außenpolitische Linien definieren. Ob Maphwanya diese rote Linie überschritt, hängt am Wortlaut und Kontext seiner Aussagen in Teheran. Regierung und Ministerien distanzierten sich jedenfalls ausdrücklich von den politischen Passagen. Das spricht für ein disziplinarisches Problem – aber noch nicht für den maximalen Strafrahmen, den die Opposition fordert.

Normalität oder Tabubruch? Der Iran-Kontext

Die SACP verweist auf »langjährige bilaterale Beziehungen« und internationale Normalität von Verteidigungskooperationen. Tatsächlich existiert seit 2016 ein Verteidigungs-MoU zwischen Pretoria und Teheran; iranische und südafrikanische Quellen dokumentierten das damals. IOL zitiert das Verteidigungsministerium, das Maphwanyas Reise ausdrücklich auf diese Kooperation stützt. Historisch reichen die Bande tiefer: Schon 1995 wurde eine Gemeinsame Kommission etabliert; die CFR skizzierte 2019, wie beide Seiten trotz Sanktionen formelle Beziehungen pflegten. All das macht den Kontakt nicht automatisch unproblematisch – aber er ist keineswegs exotisch.

Gaza, Den Haag und die Außenpolitik als Moralökonomie

Dass Maphwanya – so Berichte iranischer und südafrikanischer Medien – Südafrikas Linie zu Palästina bekräftigte, hebt den Fall über die Protokollfrage hinaus. Pretoria hat den Genozid-Antrag gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) eingereicht und durchgesetzt, dass der IGH mehrfach einschneidende Eilmaßnahmen verfügte, u. a. zum Stopp der Offensive in Rafah und zur Sicherung humanitärer Versorgung. Diese juristische Front prägt das politische Klima in Südafrika – und jeder Bezug auf Gaza wird daheim wie im Ausland als Signal gelesen. Genau deshalb schmerzt in Washington & Co. jeder Auftritt an der Seite Teherans doppelt.

Die Heuchelei-Anklage – und was an ihr dran ist

Die SACP geißelt »westlich-imperialistische Doppelstandards«. Tatsächlich ist die Geduld westlicher Partner mit Pretorias »multi-alignment« dünn geworden – seit der »Lady-R«-Affäre 2022/23, als der US-Botschafter Südafrika der Waffenlieferung an Russland bezichtigte. Eine unabhängige Untersuchung fand dafür keine Belege; die Episode beschädigte dennoch Vertrauen. Parallel expandierte BRICS (inkl. Iran) und wurde für Washington zum Reizwort. Wer all das ignoriert, verkennt die tektonische Verschiebung: Pretoria hat Handlungsspielräume, aber jeder Schritt erzeugt Gegenkräfte – Zölle, Sanktionen, Investitionszurückhaltung. Das ist der Kontext, in dem Maphwanyas Mikrofon-Momente zu Makropolitik gerinnen.

Zwischen Anspruch und Außenhandelsbilanz

Al Jazeera brachte es auf den Punkt: Während Pretoria um Zollnachlässe mit der Trump-Administration ringt, wirkt ein demonstrativ warmer Iran-Auftritt kontraproduktiv. Think-Tanks skizzieren längst die Realität einer »pragmatischen Multi-Ausrichtung«: Ja, man kann sich diversifizieren – aber nicht ohne Prioritäten. Südafrikas Wirtschaft braucht europäische und US-Märkte ebenso wie chinesische Kredite oder Golf-Investments. Außenpolitik ist in diesem Rahmen keine Gesinnungsprüfung, sondern die Kunst, Widersprüche zu managen. Das erfordert Disziplin – gerade bei Uniformträgern.

Die Medienlage: viel Lärm, gemischte Signale

Dass die Präsidentschaft Distanz signalisierte, das Verteidigungsministerium aber Genehmigung behauptete, ist kein Luxusproblem, sondern Kommunikationsversagen. Wer Souveränität beschwört, muss sie kohärent vermitteln: Was ist autorisiert? Was ist Linie? Wo endet militärische Fachkommunikation, wo beginnt Politik? Solange Regierung und Militärführung die Schnittstellen verwischen, wächst der Raum für Opposition, Lobbygruppen und befreundete wie feindliche Auslandsmedien, den Fall nach Belieben zu rahmen – vom »Verrat an der Neutralität« bis zur »mutigen Solidarität gegen Kolonialismus«.

Die faire Kritik an der Kritik

Die DA holt mit dem Strafrechtshammer aus. Das mag im politisch-medialen Moment wirken, ersetzt aber keine nüchterne Prüfung, was der General tatsächlich gesagt hat, welche Kompetenzen er überschritten hat und welche disziplinaren, nicht theatralen, Maßnahmen angemessen sind. Umgekehrt macht es sich die SACP zu leicht, alles als »inszenierte Hysterie« abzutun. Wer Souveränität ernst nimmt, nimmt auch Rechtsstaatlichkeit ernst – und die beginnt mit klaren Zuständigkeiten, sauberer Mandatierung und der Einsicht, dass Symbolpolitik Folgen hat.

Wichtigste Quellen:

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

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