Poker in Alaska – und Europa schaut zu

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Es war der Gipfel, den alle erwarteten und keiner wirklich verstand: Donald Trump und Wladimir Putin trafen sich in Alaska – eine Bühne, groß inszeniert, aber offiziell ohne greifbare Ergebnisse. Doch gerade die Leerstelle sorgt für Unruhe. In der aktuellen Folge seines Podcasts »Störfrequenz« sprach Holger Elias mit Miles Rowan vom internationalen Journalistenkollektiv Unfold News Research (UNR) über das Treffen. Das Gespräch ist weniger eine Nacherzählung als eine politische Anklage: Europa muss endlich aufhören, Zaungast zu sein.

Die Show und ihr Schatten

Rowan beschreibt das Alaska-Treffen als »politische Choreografie mit zwei Hauptdarstellern«. Offiziell gab es nichts zu verkünden, außer Bilder zweier Männer, die sich auf Augenhöhe begegnen. Doch genau darin liegt die Sprengkraft: Wenn nichts nach außen dringt, heißt das nicht, dass nichts verhandelt wurde. Im Gegenteil – im Halbdunkel von Gipfeln werden die eigentlichen Deals gemacht. Energie, Sanktionen, geopolitische Einflusszonen: alles möglich, aber unausgesprochen.

Für die Ukraine ist das besonders bitter. Sie war weder Gastgeber noch Akteurin, sondern bestenfalls Objekt. »Die Ukraine wird in diesem Spiel nicht als Partner, sondern als Spielball behandelt«, sagt Rowan. Dass die russische Delegation auffallend wirtschaftlich besetzt war, deutet für ihn darauf hin: Trump ging es weniger um Frieden, mehr um Geschäfte. Öl, Gas, Agrarprodukte, vielleicht auch Waffen – die Liste möglicher Themen ist lang.

Europa – Zaungast oder Vasall?

Die vielleicht härtesten Worte des Interviews richten sich gegen Europa selbst. Während Trump und Putin Machtpolitik betreiben, reagiert die EU zögerlich, fragmentiert, fast hilflos. Rowan nennt es »Selbstverleugnung«. Jahrzehntelang habe sich Europa in Abhängigkeit von den USA manövriert. Militärisch, wirtschaftlich, politisch – die NATO war die Lebensversicherung, Washington der große Bruder.

Doch dieser große Bruder ist längst unzuverlässig geworden. Die Bilder vom Sturm aufs Kapitol, Trumps Geringschätzung gegenüber Allianzen, die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft – alles Beweise dafür, dass die USA kein stabiler Anker mehr sind. »Und trotzdem klammert sich Europa an die Romantik einer transatlantischen Freundschaft, die es so nicht mehr gibt«, so Rowan.

Die falsche Antwort: Aufrüstung

Die naheliegende Schlussfolgerung vieler Regierungen lautet: Europa muss mehr Geld ins Militär stecken. Eigene Armeen, mehr Panzer, modernere Raketen – eine Art europäische Abschreckung 2.0. Für Rowan ist das eine Sackgasse. »Wenn wir Milliarden in Waffen stecken, aber die Demokratie vernachlässigen, verlieren wir unsere wahre Verteidigungsfähigkeit.«

Denn die eigentliche Bedrohung sieht er nicht in russischen Raketen oder amerikanischer Willkür, sondern in Europas Innerem: erodierende demokratische Strukturen. Wahlmüdigkeit, soziale Spaltung, autoritäre Versuchungen. Rechtspopulisten, die den Parlamentarismus aushöhlen. Bürgerinnen und Bürger, die das Vertrauen in Institutionen verlieren.

»Demokratien zerfallen selten, weil sie militärisch zu schwach sind«, sagt Rowan, »sie zerfallen, weil sie innenpolitisch verfallen.« Für ihn ist klar: Die Milliarden, die heute in den militärisch-industriellen Komplex fließen, müssten stattdessen in Bildung, Teilhabe, soziale Gerechtigkeit investiert werden. Weniger Panzer, mehr Schulen. Weniger Drohnen, mehr offene Debatten.

Demokratie als Bollwerk

Rowan fordert, Demokratie nicht nur zu verteidigen, sondern aktiv weiterzuentwickeln. Transparente Institutionen, politische Bildung, ein neues Verständnis von Teilhabe – das sei der eigentliche Schutzschild gegen autoritäre Tendenzen, innen wie außen. »Nur eine lebendige Demokratie kann Europa langfristig stabilisieren. Rüstung schafft kurzfristige Sicherheit, Demokratie schafft dauerhafte Widerstandskraft.«

Damit verschiebt sich der Blickwinkel radikal: Nicht Trump oder Putin sind die größte Gefahr für Europa – sondern Europas eigene Schwäche. Solange die EU sich in Abhängigkeit von Washington bewegt und gleichzeitig ihre demokratische Basis vernachlässigt, bleibt sie erpressbar.

Drei Schritte für Europa

Rowan skizziert am Ende des Gesprächs drei Aufgaben:

  1. Politische Unabhängigkeit von den USA. Nicht anti-amerikanisch, aber nüchtern und kritisch.
  2. Eine eigene Sicherheitsarchitektur. Europa muss in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen – aber ohne in Militarismus zu verfallen.
  3. Die Erneuerung der Demokratie. Bildung, soziale Sicherheit, Teilhabe – das Fundament, auf dem jede Verteidigungsfähigkeit ruht.

Mehr Mut zur eigenen Stimme

Das Alaska-Treffen zeigt, wie schnell globale Machtpolitik hinter verschlossenen Türen stattfinden kann – und wie marginal Europa dabei wirkt. Holger Elias’ Gespräch mit Miles Rowan macht deutlich: Die EU muss sich entscheiden, ob sie Zaungast bleiben will oder Akteur wird.

Rowan fasst es im Interview so zusammen: »Militärische Macht mag kurzfristig Stärke demonstrieren. Doch langfristig schützt nur Demokratie.«

Ein Satz, der wie ein Kontrapunkt zur Inszenierung von Trump und Putin klingt. Und wie ein Appell an Europa, endlich die eigene Stimme zu erheben.

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

By Holger Elias

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