Abgeschmiert: Grüner Treibstoff, leere Tanks

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Es klang nach der Lösung für ein Dilemma, das die Luftfahrt seit Jahrzehnten verfolgt: fliegen, ohne das Klima zu ruinieren. Vor einigen Jahren setzten große Airlines auf einen Hoffnungsträger mit sperrigem Namen – Sustainable Aviation Fuel, kurz SAF, ein Flugkraftstoff, der aus Pflanzenölen, Abfallfetten oder sogar aus Hausmüll hergestellt werden kann. Versprochen wurde: Bis zu 80 Prozent weniger CO₂ über den gesamten Lebenszyklus, und das ohne, dass auch nur ein Flugzeugtriebwerk umgerüstet werden müsste.


Labor der leeren Hoffnung: Forschende analysieren letzte Proben – doch ohne verlässliche Produktion droht das Projekt in der Versuchsstufe zu verharren. Foto: UNR/Unfold

Doch die glänzenden PR-Bilder vom »grünen Kerosin« haben Risse bekommen. Laut einer umfangreichen Reuters-Datenanalyse ist die Erfolgsgeschichte, die Airlines, Ölkonzerne und Politik gern erzählen, bisher vor allem eins: eine Geschichte von Ankündigungen, Verzögerungen und gescheiterten Projekten. Von weltweit 165 SAF-Initiativen der vergangenen zwölf Jahre produzieren gerade einmal zehn in nennenswertem Umfang. Viele andere sind still verschwunden oder dümpeln seit Jahren im Planungsstadium.

SAF: Warum gilt es als Schlüsseltechnologie?

SAF ist im Grunde ein Sammelbegriff. Meist verbirgt sich dahinter das sogenannte HEFA-Verfahren – Hydroprocessed Esters and Fatty Acids. Dabei werden Pflanzenöle, gebrauchtes Speisefett oder tierische Fette chemisch behandelt, um ein Produkt zu erzeugen, das herkömmlichem Kerosin chemisch nahezu identisch ist. Fluggesellschaften können es in beliebiger Mischung verwenden – theoretisch sogar pur, praktisch ist meist eine Beimischung von 30 bis 50 Prozent üblich.

Der Charme: Die bestehende Infrastruktur bleibt nutzbar und das Einsparpotenzial beim CO₂ ist hoch. Das Problem: Die Rohstoffe sind knapp. Selbst wenn alles genutzte Altspeisefett der Welt in Flugzeugtanks ginge, würde es nur einen Bruchteil des heutigen Kerosinbedarfs decken. Deshalb gilt HEFA zwar als schneller Einstieg, aber nicht als langfristige Lösung.

Alternative Verfahren wie die Fischer-Tropsch-Synthese – bei der aus Biomasse oder CO₂-reichen Abgasen synthetischer Treibstoff entsteht – sind technisch möglich, aber teuer, komplex und oft noch nicht in industriellem Maßstab erprobt.


Reuters zieht die Bilanz:


Die Bilanz der internationalen Recherche ist ernüchternd: Selbst wenn alle derzeit pausierten Projekte ans Netz gingen, würden sie nur rund 12 Milliarden Gallonen liefern – das ist nicht einmal ein Zehntel der Menge, die nötig wäre, um die Klimaziele der Branche bis 2050 zu erreichen. Datenquelle: Reuters / Grafik: UNR / Elias

Eines der prominentesten Beispiele ist World Energy aus Kalifornien. Die Anlage im Ort Paramount war 2016 ein Vorreiter: United Airlines und JetBlue tankten dort Millionen Liter SAF. Im April dieses Jahres – ohne großes Medienecho – wurde die Produktion eingestellt.

Der Grund: Überzogene Kosten, technologische Probleme, geplatzte Zeitpläne. United hatte sich schon zuvor verabschiedet, JetBlue blieb als einziger Abnehmer. Firmenchef Gene Gebolys spricht jetzt von einem »Reset« – einer kompletten Neuplanung ohne Starttermin.

Auch die zweite geplante World-Energy-Anlage in Houston steckt fest. Von der Vision einer flächendeckenden SAF-Versorgung ist nichts übrig außer Bauplänen und PR-Folien.

Ein Markt, der sich selbst blockiert

Die Airlines betonen gern, dass sie SAF wollen – und verweisen mit ausgestrecktem Finger auf die Ölkonzerne, die angeblich nicht genug produzieren. Willie Walsh, Chef des internationalen Airline-Verbands IATA, fordert seit Jahren, die Mineralölriesen müssten »ihren Beitrag leisten«.

Die Ölindustrie kontert: SAF sei drei- bis fünfmal teurer als herkömmlicher Treibstoff, und die Nachfrage der Airlines sei in Wahrheit nicht groß genug, um Milliardeninvestitionen zu rechtfertigen. Ein klassisches Henne-Ei-Problem – und ein willkommenes Argument, um auf Zeit zu spielen.

Nicht nur in den USA. In Panama kündigte SGP BioEnergy 2022 ein Mega-Projekt an: Bis Ende 2025 sollte die größte SAF-Anlage der Welt entstehen. Jetzt heißt es: frühestens 2027. Das Interesse der Airlines sei zu gering, man denke über die Umstellung auf Schiffsdiesel nach.

Das US-Unternehmen SG Preston, das einst Lieferverträge mit JetBlue und Qantas unterzeichnete, meldete 2022 Insolvenz an. In Großbritannien verspricht die Firma Velocys seit Jahren, mit Fischer-Tropsch-Technologie durchzustarten – erste Anlagen sollen nun frühestens 2029 kommen.

Politische Vorgaben – und ihre Nebenwirkungen

In der EU wird der Druck steigen: Ab 2025 müssen zwei Prozent des Treibstoffs für Flüge ab europäischen Flughäfen SAF sein. 2050 sollen es 70 Prozent sein. Allein die Zwei-Prozent-Quote wird die Airlines 2025 nach Branchenangaben rund 2,9 Milliarden Dollar extra kosten.

In den USA droht ein politischer Kurswechsel. Donald Trump hat bereits angekündigt, Subventionen für erneuerbare Energien zu kürzen – das würde auch SAF-Hersteller treffen, die auf Steueranreize angewiesen sind.

Kritiker:innen wie Almuth Ernsting von der NGO Biofuelwatch werfen der Branche vor, SAF vor allem als Marketinginstrument zu nutzen: Die Versprechen von bald klimaneutralem Fliegen legitimierten das weitere Wachstum der Luftfahrt – statt einen echten Umbau einzuleiten.

Der heutige SAF-Anteil am weltweiten Kerosinverbrauch liegt bei unter einem Prozent. Gleichzeitig steigen die Passagierzahlen und damit der Gesamtverbrauch wieder. Selbst optimistische Szenarien sehen SAF eher als Ergänzung denn als Lösung.

Das Grundproblem: Wachstum frisst Fortschritt

Technologisch ist SAF eine Brückentechnologie. Doch wenn die Brücke nur über ein Rinnsal reicht, während auf der anderen Seite ein reißender Strom anschwillt, bleibt sie wertlos. Die Klimaziele der Branche setzen stillschweigend voraus, dass sich Produktion, Rohstoffversorgung und Flugzeugflottenentwicklung parallel vervielfachen.

Reuters’ Daten legen nahe: Weder die Investitionsdynamik noch die politischen Anreize reichen aus, um aus dem heutigen Nischenprodukt einen globalen Standard zu machen.

Für eine Wende bräuchte es drei Dinge:

  1. Diversifizierung der Technologien – weg von der einseitigen HEFA-Abhängigkeit, hin zu synthetischen Kraftstoffen aus CO₂, Strom und Wasserstoff.
  2. Verbindliche Roadmaps – nicht nur Ankündigungen, sondern überprüfbare Produktionsziele mit Konsequenzen.
  3. Ehrliche Debatte über Nachfragebegrenzung – klimafreundlicher Flugbetrieb ist ohne Mengenreduktion kaum denkbar.

Solange Airlines und Hersteller weiter auf Wachstum setzen und SAF als magisches Pflaster präsentieren, bleibt das Konzept eine schöne Idee – und eine große Selbsttäuschung.


Quellen: Reuters-Datenbank „AVIATION-SUSTAINABILITY“ (Stand August 2025), Interviews und Projektberichte; weitere Informationen unter reuters.com.

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

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