Man könnte meinen, das Meer sei hier vertrocknet. Unter einer Sonne, die ohne Gnade brennt, breiten sich in der Atacama-Wüste geometrische Flächen aus, türkisblau, smaragdgrün, milchig-weiß. Es sind keine Oasen, sondern die Becken der Lithiumförderung – und der Grund, warum der Fluss, der einst das Dorf San Pedro speiste, nur noch ein kümmerlicher Rinnsal ist. María Jesús, Gemeinderätin, füllt Wasser aus einem Kanister in eine Plastikschüssel. „Das Lithium bringt Reichtum – nur nicht für uns“, sagt sie. Ihr Blick wandert über die glänzende Fläche, hinter der Pumpen das Grundwasser in industrielle Tröge treiben. In den Werbeprospekten der Konzerne heißt das „nachhaltige Energieversorgung der Zukunft“. Für die Menschen hier heißt es: längere Wege, teureres Wasser, unsichere Ernten.

Die große Erzählung der Energiewende ist eine der Erlösung. Sie will uns glauben machen, der Umstieg auf Elektromobilität und erneuerbare Energien sei nicht nur ein ökologischer Imperativ, sondern ein moralischer Fortschritt. Doch im Bauch dieser Erzählung gärt eine alte Wahrheit: Der Kapitalismus wechselt das Etikett, nicht den Mechanismus. Statt Öl und Kohle sind es Lithium, Kobalt, Nickel und seltene Erden, um die sich die geopolitischen Fieberkurven winden. Die grünen Versprechen bleiben aufgeladen mit den alten Strömen: Ressourcen aus der Peripherie, Profite im Zentrum, Verluste dort, wo niemand fragt.
Man muss nicht weit in die Geschichte zurückgehen, um die Wiederholung zu erkennen. Chile, in den 1970er Jahren: Kupfer ist das Blut der Wirtschaft, das Herz in ausländischer Hand. Als Präsident Allende verstaatlichen will, rücken nicht nur CIA-Berater, sondern auch ökonomische Sanktionen auf den Plan – der Rest ist Putschgeschichte. Ähnlich im „Banana Belt“ Zentralamerikas, wo die Monokulturen des 20. Jahrhunderts die Politik gleich mit exportierten: Die Plantage bestimmte den Haushalt, die Konzerne den Präsidenten. Heute sind es Freihandelszonen, Investitionsschutzabkommen und strategische Partnerschaften, die sicherstellen, dass das Lithium aus Bolivien oder Argentinien nicht den falschen Abnehmer findet.
Neu ist allenfalls die Tarnfarbe. Die Lithiumindustrie schmückt sich mit Bildern lächelnder Arbeiter, Solarpaneelen und dem Versprechen „grüner Mobilität“. Die Rohstoffgewinnung selbst bleibt eine staubige, wasserfressende Angelegenheit. Für eine Tonne Lithium braucht es bis zu zwei Millionen Liter Wasser – in einer der trockensten Regionen der Erde. Das, was hier verdunstet, fehlt in Feldern und Haushalten. Doch Wasser ist, folgt man der internationalen Vertragsarchitektur, nicht mehr primär ein Gemeingut, sondern eine vertraglich gesicherte Ressource im Dienst der Industrie. Der Konflikt um Lithium ist also immer auch ein Konflikt um Wasser – und damit um Leben.
Parallel zur ökologischen Spur läuft die sicherheitspolitische. Die Nachfrage nach „kritischen Mineralien“ wird längst in den Kategorien der NATO-Strategiepapiere verhandelt. Wer Zugang zu Lithium, Kobalt und seltenen Erden hat, kann nicht nur Produktionsketten sichern, sondern politische Abhängigkeiten schaffen. Schon jetzt sichern Militärmissionen und Ausbildungshilfen in rohstoffreichen Regionen nicht nur „Stabilität“, sondern auch Investitionsinteressen. Es ist die alte Formel der Ölpolitik im neuen Kostüm: die Versorgungslinien schützen, Störfaktoren neutralisieren, Regierungen beeinflussen.
Die ideologische Schmierung dieser Maschine heißt „Greenwashing“. Die Konzerne wissen, dass ihre Fördermethoden Kritik auslösen – also wird Nachhaltigkeit zur PR-Gebrauchsanweisung. Man beruft sich auf Umweltstandards, die im globalen Süden oft niemand durchsetzt, und auf Arbeitsverträge, die so befristet sind wie die Rohstoffzyklen selbst. Kritische NGOs werden eingeladen, an „Stakeholder-Dialogen“ teilzunehmen, um anschließend auf den Websites der Unternehmen als Beleg für „Transparenz“ zu dienen.
So wird die „grüne Transformation“ im Kapitalismus zu einer zweifach schiefen Konstruktion: ökologisch fragwürdig, sozial regressiv. Denn das eigentliche Problem bleibt unberührt – die Eigentumsfrage. Solange Boden, Wasser und Rohstoffe Privateigentum sind und in globalen Wertschöpfungsketten der Profitmaximierung dienen, wird jede Energiewende zur Ausbeutungswende. Das Ziel mag sich geändert haben – von CO₂-Reduktion statt Förderung – doch der Weg bleibt derselbe: Ressourcenströme aus der Peripherie ins Zentrum, die Kosten sozialisiert, die Gewinne privatisiert.
In den Becken von San Pedro glänzt das Lithium wie ein Versprechen. Es ist der Stoff, der Tesla-Batterien speist und europäischen Konzernen die grüne Zukunft in den Quartalsberichten beschert. Für María Jesús und ihre Nachbarn bleibt es der Stoff, der das Wasser frisst. Vielleicht wird man in fünfzig Jahren zurückblicken und sagen: Die Energiewende hat den Planeten nicht gerettet, aber sie hat ihn neu vermessen – entlang der alten Grenzlinien.
Denn eines hat sich nicht geändert: Wer den Rohstoff hat, hat die Macht. Wer die Macht hat, schreibt die Geschichte. Und wer sie schreibt, nennt sie gern Fortschritt.