Vasallendiplomatie: Nasentanz mit Trump

V

Es gibt diese peinlichen Momente auf dem internationalen Parkett, in denen man das Gefühl nicht loswird, einer schlechten Opernparodie beizuwohnen. Donald Trump, der Bühnentyrann mit Dauergrimasse, gab in Schottland die Zugabe, die er sich selbst geschrieben hatte: »The biggest deal ever made«, tönte es von den Golfhügeln, als wäre die Weltbühne ein Boardroom und internationale Diplomatie eine Reality-Show mit Ratings. Und während er prahlte, kuschte Europa. Die EU, einst geboren aus der Idee gemeinsamer Souveränität, hat sich in ein Märchen vom kleineren Übels verrannt – und spielt nun die Nebenrolle im Stück ihrer eigenen Entmündigung.

Denn der am 28. Juli verkündete Rahmenvertrag zwischen der EU und den USA ist alles andere als ein handelspolitisches Meisterwerk. Er ist das Produkt einer Ökonomie der Angst, eines transatlantischen Verhältnisses, das zunehmend asymmetrisch ist. Die 15 Prozent Importzoll, die ab August auf den Großteil europäischer Waren in den USA erhoben werden sollen, sind kein Erfolg. Sie sind das halbe Gift, das man dem Kranken verabreicht, um den totalen Kollaps zu vermeiden. Das Narrativ: Besser 15 als 30 Prozent. Die Realität: Besser Unterwerfung als Eskalation.

Frankreich hat diese Farce immerhin noch benannt. Premierminister François Bayrou sprach auf X (vormals Twitter) von einem »düsteren Tag«, an dem ein Bündnis freier Völker sich der »Submission« unterwerfe. Emmanuel Macron schwieg, was in Paris bereits als strategischer Dissens gilt. Und Deutschland? Friedrich Merz, der als Bundeskanzler der exportverliebten Republik agiert, lobte die Schadensbegrenzung. Dass damit die Selbstachtung Europas auf dem Altar der Wettbewerbsfähigkeit geopfert wurde, scheint ein Nebenaspekt.

Noch absurder wird das Bild, wenn man bedenkt, dass die EU ursprünglich auf eine Nulltarif-Regelung drängte. Stattdessen akzeptierte sie nicht nur Zollhürden, sondern versprach auch strategische Investitionen in US-Infrastruktur, Energiesicherheit und Industrieproduktion. 750 Milliarden Dollar sollen in den nächsten drei Jahren für Öl, LNG und Nukleartreibstoff an die USA fließen. Dabei ist nicht einmal klar, ob die USA überhaupt genug liefern können. Aber Trump verlangt. Und Europa liefert.

Die politische Symbolik ist ebenso erdrückend wie die ökonomischen Implikationen. Eine Union, die sich als normative Ordnungsmacht versteht, hat sich in ein reaktives Schutzbündnis verwandelt, das von autoritärer US-Außenwirtschaftspolitik herumgeschubst wird. Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, erklärte das Abkommen zur »bestmöglichen Lösung unter schwierigen Bedingungen«. Eine bemerkenswerte Umschreibung für Kapitulation.

Denn darum geht es: Nicht um Handel, sondern um Macht. Trump nutzt Zölle als geopolitisches Disziplinierungsinstrument. Die EU-Staaten reagieren nicht gemeinschaftlich, sondern partikularistisch. Schweden nennt das Abkommen »die am wenigsten schlechte Option«, Spanien stimmt »ohne Begeisterung« zu, Frankreich wütet. Einheit sieht anders aus. Die Kommission, deren Aufgabe es ist, den Binnenmarkt nach außen zu verteidigen, verkommt zur Reparaturwerkstatt für nationale Opportunismen.

Diese Uneinigkeit ist kein Zufall, sondern System. Trump setzt gezielt auf Spaltung. Sein Druckmittel ist einfach: Wer nicht unterschreibt, riskiert den sofortigen Handelskrieg. Wer unterschreibt, darf hoffen, nur die halbe Dosis zu bekommen. Es ist die politische Äquivalenz zur Schutzgeldlogik. Und die EU macht mit. Nicht aus strategischem Kalkül, sondern aus institutioneller Schwäche. Ein Handelskommissar, der öffentlich sagt, 15 Prozent seien »besser als 30«, hat das Vokabular des Widerstands längst verloren.

Besonders schmerzlich ist die Rolle Deutschlands. Statt die Chance zu nutzen, eine echte europäische Industriestrategie zu entwickeln, klammert sich die Berliner Politik an ihre Exportabhängigkeit. Der Preis: Abhängigkeit von einem politischen Partner, der seit Jahren keine Partnerschaft mehr pflegt, sondern Deals diktiert. Wer sich fragt, warum Europa im globalen Süden kaum mehr als moralische Predigten verbreiten kann, findet hier eine Antwort.

Hinzu kommt: Die von der EU zugesagten Investitionen basieren auf privaten Zusagen. Sie sind also nicht bindend, sondern symbolisch. Anders in Japan: Dort erfolgt die US-Investitionszusage über staatliche Kanäle. Trump kann also über deren Verfügung bestimmen. Die EU hingegen bleibt Bittstellerin der eigenen Wirtschaft. Das ist nicht nur ein Unterschied in der Form, sondern in der politischen Selbstwahrnehmung.

Medial wird das Abkommen als Beruhigungsspritze verkauft. Der Handelskrieg ist abgesagt, die Börsen steigen, die Chemieindustrie atmet auf. Wolfgang Große Entrup vom VCI sagte: »Wer einen Hurrikan erwartet, ist für den Sturm dankbar.« Eine treffende Metapher für Europas gegenwärtigen Zustand: Man feiert das kleinere Übel als Erfolg und vergisst, dass man einst für »das Gute« einzutreten gedachte.

Dabei ist der Preis hoch. Die WTO wurde erneut marginalisiert. Die Regelbindung des Welthandels untergraben. Die EU verliert nicht nur politische Selbstachtung, sondern auch strategische Optionen. Wer jetzt schon 15 Prozent akzeptiert, wird bei der nächsten Drohung keine Karten mehr auf der Hand haben.

Für die Weltöffentlichkeit ist das ein Debakel. Europa, das sich gern als »Wertegemeinschaft« inszeniert, zeigt sich als Interessenverwalterin in fremder Hand. Die Reaktionen aus dem globalen Süden, aus Afrika, Lateinamerika und Asien, fallen entsprechend spöttisch aus. Die EU belehrt andere über good governance, während sie sich selbst unter dem geopolitischen Knüpfstock wegduckt.

Was bleibt, ist der Eindruck einer Entmündigung. Nicht durch Zwang, sondern durch freiwillige Anpassung. Der Handelsdeal mit Trump ist kein Kompromiss, sondern ein Lackmustest für Europas Unfähigkeit zur geopolitischen Selbstbehauptung. Die Rede von der strategischen Autonomie verkommt zur Floskel, solange man sich im transatlantischen Nasentanz verliert.

Wenn Europa sich nicht bald auf eine gemeinsame industriepolitische Agenda, eine robuste Außenwirtschaftspolitik und eine würdevolle Rhetorik besinnt, wird es weiter durch die Manage geführt. Die Peitsche heißt Zoll, die Karotte Investitionssicherheit. Und der Applaus kommt allein aus dem Weißen Haus.

Trump, so viel ist sicher, kennt nur eine Sprache: die des Vorteils. Wer sich darauf einlässt, verliert sich selbst. Europa hat an diesem Julitag viel verloren: Einheit, Würde und Zukunftsorientierung. Was bleibt, ist die Frage: War es das wert?


Glossar zentraler Begriffe

  • Rahmenvertrag: Eine vorläufige Übereinkunft, die die Eckpunkte eines später auszuarbeitenden verbindlichen Abkommens festlegt – im vorliegenden Fall zwischen EU und USA zu Handelsfragen.
  • Importzoll: Steuer auf eingeführte Waren, die vor allem zum Schutz inländischer Märkte erhoben wird und in der geopolitischen Machtausübung eine Rolle spielt.
  • Submission: Im Essay bewusst verwendeter Begriff zur Beschreibung der freiwilligen Unterordnung unter einen stärkeren Akteur – hier: der EU unter die Trump-Regierung.
  • Transatlantische Beziehungen: Begriff für die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verhältnisse zwischen Europa (vor allem der EU) und den USA.
  • Strategische Autonomie: Politisches Ziel der EU, eigenständig über sicherheits-, wirtschafts- und außenpolitische Interessen entscheiden zu können – zunehmend infrage gestellt.
  • Nulltarif-Regelung (zero-for-zero): Handelsabkommen, bei dem beide Parteien auf Zölle verzichten – ursprünglich Ziel der EU in den Verhandlungen.
  • Schutzgeldlogik: Analytische Metapher für asymmetrische Beziehungen, in denen wirtschaftlicher Zwang als Druckmittel dient.
  • Industriepolitik: Steuerung und Förderung bestimmter Wirtschaftssektoren durch politische Maßnahmen, als Antwort auf globale Konkurrenz und strukturelle Abhängigkeiten.
  • Globaler Süden: Sammelbegriff für Länder mit historisch benachteiligten Entwicklungsbedingungen, die sich kritisch zu westlicher Dominanzpolitik verhalten.
  • Good Governance: Prinzipien verantwortungsvoller Regierungsführung, häufig von der EU propagiert, aber zunehmend durch eigenes Verhalten konterkariert.
  • Binnenmarkt: Der gemeinsame Wirtschaftsraum der EU, in dem freier Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr gilt.
  • WTO (Welthandelsorganisation): Internationale Organisation zur Regelung globaler Handelsbeziehungen – zunehmend durch bilaterale Machtpolitik untergraben.

Kommentiertes Quellenverzeichnis

  • Blenkinsop, P., & Rose, M. (2025, July 28). Angry France slams US trade pact ‘submission’ as EU peers breathe sigh of relief. Reuters. https://www.reuters.com
    → Primärquelle für die Darstellung der politischen Reaktionen in Frankreich, Deutschland und der EU-Kommission auf den Rahmenvertrag. Enthält zentrale O-Töne.
  • European Commission. (2025, July). Statement by Trade Commissioner Maros Sefcovic on EU-US Trade Accord. [Pressemitteilung]
    → Offizielle Kommunikationslinie der EU zur Einigung; Quelle für die Formulierung „beste Lösung unter schwierigen Bedingungen“.
  • VCI (Verband der Chemischen Industrie). (2025, July). Kommentar zur EU-US-Einigung.
    → Äußerung des Verbandsvorsitzenden Große Entrup; illustriert die wirtschaftspolitische Rezeption des Deals in der Industrie.
  • Eurostat (2025). EU Trade Statistics with the United States 2023–2024.
    → Statistische Grundlage für die Analyse der Exportabhängigkeit und Volumina, die von US-Zöllen betroffen sind.
  • WTO (2024). Annual Report: The Erosion of Multilateralism in Global Trade.
    → Hintergrund zur Marginalisierung multilateraler Handelsregeln und zur Zunahme bilateraler „Deals“.

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

By Holger Elias

Neueste Beiträge

Archive

Get in touch