
Es sind Worte, wie sie an den Vorabend größerer Kriege erinnern: »Die Situation hat sich verschärft und könnte in einen Kriegszustand übergehen«, erklärte Thailands kommissarischer Premierminister Phumtham Wechayachai am Freitag vor der Presse in Bangkok. Laut Reuters ist dies die schwerste militärische Auseinandersetzung zwischen beiden Ländern seit über zehn Jahren.
Was als erneuter Grenzzwist begann, hat sich binnen 48 Stunden zu einem offenen Schlagabtausch mit Artillerie, Raketen und Luftschlägen entwickelt – an zwölf Orten gleichzeitig. Besonders umstritten: Der Einsatz thailändischer F-16-Kampfflugzeuge. Kambodscha spricht von »brutaler militärischer Aggression«, die thailändische Seite von »Verteidigung der territorialen Integrität«.
Diplomatie ausgeschlagen
Während China, Malaysia und die USA zur Deeskalation mahnen, pocht Thailand auf »bilaterale Lösungen« – und lehnt Vermittlung rundheraus ab. »Wir brauchen momentan keine Einmischung von Drittstaaten«, sagte Außenamtssprecher Nikorndej Balankura im Gespräch mit Reuters. Stattdessen fordert Bangkok einseitig den Stopp der »Aggressionen« durch Kambodscha.
Dabei sind die Vorwürfe auf beiden Seiten laut: Thailand wirft Kambodscha gezielte Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser vor. Die kambodschanische Seite wiederum beschuldigt Thailand des Einsatzes geächteter Streumunition. Beides sind – sollten sie sich bestätigen – gravierende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht.
UNO im Schatten, ASEAN blockiert
Beide Länder haben den UN-Sicherheitsrat angerufen. Während Phnom Penh von »unprovozierter und geplante Militäraggression« spricht, nennt Thailands UN-Botschafter Cherdchai Chaivaivid das Vorgehen Kambodschas eine »eklatante Verletzung des Artikel 2(4) der UN-Charta« sowie der Genfer Konventionen von 1949 – insbesondere wegen der zivilen Opfer. Bis Freitagabend wurde eine geschlossene Sitzung des Sicherheitsrats angekündigt, konkrete Maßnahmen jedoch nicht.
Auch die regionale Organisation ASEAN wirkt überfordert. Ihr aktueller Vorsitzender, Malaysias Premierminister Anwar Ibrahim, telefonierte zwar mit beiden Seiten, doch mehr als diplomatische Appelle kamen nicht zustande. ASEAN ist blockiert – politisch wie strukturell. Und das ist gefährlich: Denn beide Konfliktparteien sind Mitglieder, beide verschärfen die Rhetorik – und beide mobilisieren.
Nebenschauplatz mit Sprengkraft
Was auf den ersten Blick wie ein regionaler Grenzkonflikt erscheint, offenbart bei genauerer Betrachtung geopolitische Tiefenschichten. Chinas Außenminister Wang Yi erinnerte am Freitag in einem Treffen mit ASEAN-Generalsekretär Kao Kim Hourn an die kolonialen Spuren, die das Grenzregime hinterließ: »Die Ursache liegt in den Überbleibseln westlicher Kolonialherrschaft.«
Auch das ist ein Deutungsrahmen – einer, der den Konflikt ideologisch auflädt, aber gleichzeitig die Tür zu einer internationalen Deeskalation offenhalten könnte. Denn sowohl Thailand als auch Kambodscha sind wirtschaftlich eng mit China, aber auch mit den USA verflochten. Beide Großmächte haben Einfluss – nutzen ihn bisher aber kaum.
Zivilbevölkerung zahlt den Preis
Während sich die Diplomatie in Formulierungen verliert, zahlen die Menschen an der Front den Preis. In der thailändischen Provinz Surin wurden bis Freitag 130.000 Menschen evakuiert. Der Großteil der Toten sind Zivilist:innen. »Wir haben die Explosionen gehört und sind geflohen«, sagte die 67-jährige Aung Ying Yong der Nachrichtenagentur Reuters, während sie sich mit einem Handtuch die Tränen abwischte. »So viele Menschen sind in Not wegen dieses Krieges.«
Die kambodschanischen Behörden schweigen bislang zu Opferzahlen, doch auch dort sollen über 1.500 Familien ihre Häuser verlassen haben. Es ist ein humanitärer Notstand, der sich im diplomatischen Vakuum ausbreitet.
Südostasien brennt – die Welt schaut weg
Der Konflikt zwischen Thailand und Kambodscha ist ein Lehrstück dafür, wie schnell fragile Nachbarschaften militarisiert werden können – wenn diplomatische Institutionen versagen und alte Konfliktlinien mit neuen Waffen aufgeladen werden. Noch sind es »nur« lokale Kämpfe. Doch die Sprachwahl, die Vorwürfe, die eingesetzten Mittel – all das lässt Schlimmeres befürchten.
Ob die internationale Gemeinschaft rechtzeitig reagiert, bleibt offen. Und genau darin liegt die Gefahr.