Künstlichkeit, Krieg und Kritik

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Interdisziplinarität heißt Verantwortung teilen

Friedensarbeit ist kein exklusives Projekt einer Wissenschaft. Sie beginnt dort, wo Design auf Ethik trifft, Informatik auf Ästhetik, Medienkunst auf kritische Theorie. An der KHM zeigt sich exemplarisch, wie diese Verknüpfungen aussehen können: In Seminaren, die Krieg als mediale Erfahrung analysieren. In Ausstellungen, die TikTok als Propagandamaschine dechiffrieren. In Kooperationen mit FifF, IMI, Disruption Lab, die das Wissen aus Forschung, Kunst und Aktivismus zusammenführen.

Diese transdisziplinären Formate sind keine akademischen Spielwiesen. Sie sind Werkzeuge politischer Kritik. Und sie zeigen: Die Frage nach dem Einsatzgebiet einer Technologie ist nicht technisch, sondern ethisch. Und sie muss gestellt werden. Immer wieder. Von möglichst vielen.

Eine der gefährlichsten Entwicklungen unserer Zeit ist die Auflösung der Differenz zwischen Wahr und Falsch. Nicht, weil wir die Wahrheit verloren hätten – sondern weil wir ihr Interface verändert haben. Die semantische Glätte, mit der ChatGPT, Gemini oder Claude ihre Antworten generieren, erzeugt ein neues Vertrauen – auch dort, wo es keines geben sollte.

Dieser sogenannte »Automation Bias« führt dazu, dass wir Maschinen zu viel zutrauen und uns zu wenig zumuten. Der »ELIZA-Effekt« – benannt nach dem ersten Textbot der 1960er – beschreibt genau dieses psychologische Moment: die Zuschreibung von Intentionalität an Maschinen, die nichts anderes tun als Wahrscheinlichkeiten zu berechnen.

Kritik an dieser Praxis ist kein Fortschrittsverrat. Sie ist ein demokratischer Imperativ.

Das Problem ist nicht die Intelligenz der Maschinen. Es ist unsere Bereitschaft, sie als intelligent zu behandeln. Die Narrative von AGI, Superintelligenz, General Purpose KI: Sie alle suggerieren, dass Maschinen irgendwann alles besser können als Menschen – auch Entscheidungen über Leben und Tod. Doch diese Annahmen beruhen auf Fiktionen. Und genau deshalb müssen sie hinterfragt werden.

Die Kritik an dieser Form der Technologisierung ist keine technophobe Nostalgie. Sie ist ein Versuch, den kulturellen Begriff des Menschlichen neu zu denken. Denn nur wenn wir wissen, was wir sind, können wir entscheiden, was wir delegieren wollen – und was nicht.

Hochschulen als moralische Instanzen

Der Philosoph Vilém Flusser schrieb: »Solange wir keine Kritik der technischen Bilder haben, bleiben wir Analphabeten.« Dieser Satz gilt heute mehr denn je – und nicht nur für Bilder. Auch Texte, Algorithmen, Interfaces: Sie alle produzieren Wirklichkeit. Und sie alle brauchen Kritik.

Hochschulen, die sich dieser Verantwortung entziehen, machen sich nicht neutral – sie machen sich gemein. Gemein mit einer Logik, die den Krieg als technologischen Fortschritt verkleidet. Die Zivilklausel der KHM setzt hier ein Zeichen – gegen die Verzweckung, gegen die Banalisierung, gegen die Verantwortungslosigkeit.

Wenn die Demokratie überleben will, muss sie ihre Verteidigung nicht den Militärs überlassen. Sie muss selbst verteidigungsfähig werden – durch Bildung, durch Aufklärung, durch Kritik. Zivilklauseln sind keine Allheilmittel. Aber sie sind ein Anfang. Ein Symbol für die Rückkehr der ethischen Frage in den Diskurs der Hochschulen.

Es ist Zeit, die technische Frage wieder zur politischen zu machen. Und die politische zur kulturellen. Denn letztlich geht es nicht nur um Forschung – es geht um Leben und Tod.

Was bleibt? Vielleicht ein Satz. Vielleicht ein Prinzip. Vielleicht die Hoffnung, dass Hochschulen nicht nur Orte des Wissens, sondern auch Orte der Gewissensbildung sein können. Orte, an denen wir lernen, mit Technologie anders umzugehen – nicht wie Konsumentinnen, sondern wie Bürgerinnen.

Die Zivilklausel ist ein Versuch, diese Perspektive zurückzuerobern. Sie ist ein Nein zum tödlichen Interface. Und ein Ja zur kritischen Bildung.

Nicht aus Nostalgie. Sondern aus Notwendigkeit.

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

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