Teil 1: Wie eine Hochschule in Köln zum politischen Störfall wurde: Eine Zivilklausel als Widerstandsgeste in Zeiten der sicherheitspolitischen Gleichschaltung
Es war eine stille Tat mit lauter Wirkung: Am 19. Dezember 2024 beschloss der Senat der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM), in ihre Grundordnung eine Zivilklausel aufzunehmen. Ein Satz, ein Absatz, ein Prinzip: »Die Kunsthochschule für Medien Köln verpflichtet sich ausschließlich friedlichen und nicht-militärischen Zielen.«
Was für viele wie eine akademische Formalie wirken mag, war in Wirklichkeit ein politischer Akt mit programmatischer Sprengkraft. In einer Zeit, in der unter dem Stichwort »Zeitenwende« selbst vormals pazifistisch grundierte Parteien in sicherheitspolitischen Schulterschluss mit der Bundeswehr marschieren, sticht der Beschluss aus der Zeit. Die KHM ist nicht nur die erste Hochschule seit 2022, die eine solche Selbstverpflichtung getroffen hat – sie könnte auch die letzte ihrer Art sein. Zumindest in Nordrhein-Westfalen.
Denn während der Tintenstrahl unter dem Zivilklausel-Paragrafen noch nicht trocken war, legte die grüne Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur ein Gesetzesvorhaben vor, das nichts anderes zum Ziel hat als die systematische Abschaffung sämtlicher Zivilklauseln im Land.
Zeitenwende – oder Wendung ins Vergessen?
Während in Gaza algorithmisch geordnete Todeslisten abgearbeitet werden, in Iran Reaktoren brennen, Israel seine Abschreckung zur Totalstrategie aufrüstet und Pakistan erneut in nukleare Alarmbereitschaft versetzt wird, stellt sich in Deutschland nicht mehr die Frage, wie Kriege verhindert – sondern nur noch, wie sie effizienter geführt werden können. Es ist die Zeit der Enthemmung – außen wie innen. Und mittendrin ein Paragraf aus Köln, der plötzlich zum Skandal wird: die Zivilklausel an der KHM.
Wer heute an öffentlichen Hochschulen über militärfreie Forschung spricht, wird nicht selten als naiv, verantwortungslos oder »nicht wehrhaft« etikettiert. Die alte Dialektik zwischen Friedensethos und Sicherheitsdogma scheint aufgelöst – zugunsten eines Staats- und Wissenschaftsverständnisses, das in der Bundeswehr den Katalysator technologischen Fortschritts sieht. Die neuen Koalitionen im Foyer der Forschung heißen heute: Hochschule & Heer, KI & Kommandozentrale, Campus & Kriegsgerät.
Die Rhetorik hat sich gewandelt – und mit ihr die Gesichter des Krieges. Ausgerechnet Vertreterinnen der Partei Bündnis 90/Die Grünen, deren Genese auf der Basis friedensbewegter Graswurzelarbeit gründet, treten heute mit einer Radikalität auf, die in früheren Zeiten eher bei sicherheitsfixierten Konservativen zu Hause war. Mona Neubaur, in NRW für Wissenschaft zuständig, will nicht nur »die Wehrhaftigkeit unserer Hochschulen stärken«, sondern strebt eine Harmonisierung der Hochschulgesetze mit bundesweiten Verteidigungsinteressen an.
Ein politisches Klima, in dem der Kölner Zivilklausel-Beschluss wie ein Störfall wirkt.
Was Zivilklauseln einmal waren
Zivilklauseln sind keine neuen Erfindungen. Bereits seit den 1980er-Jahren – im Kontext des NATO-Doppelbeschlusses und der Wiederbewaffnung – formierten sich an Hochschulen in der Bundesrepublik Bewegungen, die militärische Forschung ablehnten und einen zivilgesellschaftlichen Wissenschaftsethos vertraten. Ab 2008 erlebte die Idee ein Revival: Über 70 Hochschulen bekannten sich zeitweise zu friedlicher Forschung. Doch spätestens mit der sicherheitspolitischen Wende 2022 wurde aus dieser Bewegung eine Resterampe.
Im politischen Diskurs hat sich seither das Narrativ des sogenannten »Dual Use« durchgesetzt: Technologien, so heißt es, seien prinzipiell neutral – und könnten sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden. Eine Logik, die nicht nur wissenschaftlich verkürzt, sondern auch politisch gefährlich ist. Denn sie verschleiert das Faktum, dass technische Systeme längst in hegemonialen Strukturen operieren und zunehmend für militärisch-operative Zwecke angepasst werden.
Die Zivilklausel der KHM konterkariert diese Erzählung. Sie besteht auf Unterscheidbarkeit. Und sie besteht auf Verantwortung.
Die KHM ist kein Forschungsinstitut für Verteidigungstechnologie. Sie ist eine Kunsthochschule – mit Schwerpunkten auf Film, exMedia, Ästhetik, Theorie. Warum also der Schritt zur Zivilklausel gerade hier?
Weil, wie Christian Heck, künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der KHM, pointiert schreibt, »digitale Technologien und Medien zunehmend dual (zivil und militärisch) verwendet werden«. Weil die Schnittstellen zwischen Interface-Design und Entscheidungssystemen, zwischen Ästhetik und tödlicher Praxis längst unsichtbar geworden sind. Weil Chatbots, die an der Front als KI-gestützte Zielsysteme fungieren, die gleiche Interface-Logik nutzen wie ChatGPT im Redaktionsalltag.
Mit anderen Worten: Die KHM erkennt, dass Medien nicht nur Träger von Information sind, sondern Produzenten von Bedeutung. »The medium is the message«, formulierte Marshall McLuhan einst – ein Satz, der in der Ära militärischer Künstlicher Intelligenz eine neue Dringlichkeit bekommt.