Merz: Ein Kanzler im Kriegston

M

Am 17. Juni 2025 spricht Bundeskanzler Friedrich Merz im ZDF über die Eskalation im Nahen Osten – und benutzt dabei einen Ausdruck, der aufhorchen lässt: Israel mache die »Drecksarbeit« (…) »für uns alle«.

In diesem Artikel unterziehe ich die Aussagen des Kanzlers einer Analyse. Es geht nicht nur um Worte, sondern um das Denken dahinter: um sicherheitspolitische Dogmen, moralische Rahmungen und die Relativierung des Völkerrechts.

Die folgende Untersuchung stellt die Frage: Welche Realität wird durch solche Sprache geschaffen? Und was bedeutet das für eine deutsche Außenpolitik, die sich Friedensverantwortung auf die Fahnen schreibt?

Eine ideologiekritische Annäherung an ein Interview, das mehr enthüllt, als es verdecken kann.

»Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht – für uns alle.«
— Friedrich Merz, ZDF, Juni 2025


Wenn Worte zünden

Heutzutage kann jeder Satz geopolitische Wirkung entfalten wie ein Marschflugkörper – und Friedrich Merz tritt vor die Kameras des ZDF und spricht. Doch der Bundeskanzler spricht nicht etwa von Deeskalation, nicht von Diplomatie, nicht von Verständigung. Er spricht von »Drecksarbeit«. Ein Wort, das aus dem Arsenal der Propaganda stammt, nicht aus dem Vokabular eines Friedensstaates. Die politische Sprache, die Merz in diesem Interview wählt, hat nichts mehr von der angeblich wertegeleiteten Außenpolitik deutscher Prägung. Sie ist die Sprache eines ideologischen Bellizisten im Maßanzug – und sie verdient es, in aller Klarheit analysiert zu werden.


Rhetorik als strategische Kriegsführung

Das Interview beginnt harmlos, fast kontemplativ. Ein Blick auf die Rocky Mountains, ein »Guten Morgen« – doch was folgt, ist ein rhetorischer Drift ins Arsenal strategischer Sprechakte, die Gewalt als notwendige Antwort auf »das Böse« legitimieren.

»Dieses Mullah-Regime hat Tod und Zerstörung über die Welt gebracht.«

Hier wird der klassische Feindbild-Topos aktiviert: Der »Mullahstaat« wird nicht als Staat, nicht als politischer Akteur, sondern als transzendentales Übel entmenschlicht. Diese Dämonisierung (»Tod und Zerstörung«, »Terrorregime«) folgt einer semantischen Choreographie, die keine diplomatische Alternative mehr offenlässt – nur noch Exorzismus mit Waffengewalt.


»Drecksarbeit« als Opferdienst

Besonders bezeichnend ist Merz’ rhetorische Rahmung des israelischen Militärschlags als »Drecksarbeit«. Die Interviewerin Diana Zimmermann benutzt den Begriff zunächst suggestiv-fragend – Merz jedoch übernimmt ihn bereitwillig, ja begeistert:

»Ich bin Ihnen dankbar für den Begriff Drecksarbeit […] das ist die Drecksarbeit, die Israel macht – für uns alle.«

Diese Aussage enthält eine doppelte Codierung: Einerseits wird Israel zum moralisch erhöhten Werkzeug kollektiver westlicher Sicherheit erhoben – andererseits wird Gewalt normalisiert und externalisiert. Die »Drecksarbeit« wird ausgelagert, gereinigt durch Delegation: Die ethisch belastende Verantwortung für Tötung und Zerstörung liegt nicht mehr beim Westen selbst, sondern bei einem geopolitischen Stellvertreter. Es ist eine sakralisierte Gewalt: Israel kämpft im Namen einer vermeintlich »zivilisierten Welt«, während der Westen sich die Hände nicht schmutzig macht – oder sich dies zumindest rhetorisch einredet.


Von der Sprache der Angst zur Sprache des Krieges

Merz operiert mit einer Rhetorik der Alarmstufe: Die Bedrohung durch ein nuklear bewaffnetes Iran sei »auf der Tagesordnung«, so der Kanzler, und es sei zu befürchten, dass »wir sonst noch Monate und Jahre weiter diesen Terror dieses Regimes gesehen hätten«. Diese Konstruktion einer permanenten Bedrohungssituation erfüllt eine zentrale Funktion der sogenannten securitization (Buzan/Wæver/de Wilde): Politische Fragen werden zur Sicherheitsfrage erklärt – und damit der normalen politischen Debatte entzogen.

»Wenn das Regime bereit wäre an den Verhandlungstisch zurückzukehren […] wenn nicht, dann steht möglicherweise die vollständige Zerstörung des iranischen Atomwaffenprogramms auf der Tagesordnung.«

Diese Alternativlosigkeit zwischen Kapitulation oder Zerstörung erinnert fatal an die Logik der Bush-Doktrin nach 9/11. Es ist eine Rhetorik, die keine friedlichen Ausgänge mehr kennt – nur noch bedingungslose Unterwerfung oder Krieg.


Ideologische Verengung: Gut und Böse im Endkampf

Zugleich zeigt das Interview, wie tief der Diskurs in einem moralisch aufgeladenen Dualismus verfangen ist. Der Iran wird – immer wieder – als »Regime« und »Terrorstaat« bezeichnet. Dass die israelischen Angriffe selbst völkerrechtlich umstritten sind, streift Merz lediglich flüchtig – nur um sofort zum nächsten heroischen Narrativ überzugehen:

»Größten Respekt davor, dass die israelische Armee den Mut dazu gehabt hat.«

Die Rhetorik folgt einem populistischen Sicherheitsdiskurs nach Laclau/Mouffe: Der legitime Gewaltmonopolist (Israel) handelt stellvertretend für ein moralisch homogenes Kollektiv (den Westen), gegen ein absolutisiertes »Außen« (Iran). Diese dichotomische Weltdeutung verengt die politischen Handlungsspielräume dramatisch – und verunmöglicht Dialog.


G7 als Kulisse: Legitimation durch Kulissenschieberei

»Wir haben hier gestern eine gemeinsame Erklärung verabschiedet.«

Mit dieser Bemerkung greift Merz zu einem klassischen rhetorischen Trick aus dem Repertoire der politischen Imagepflege: der kollektiven Autorisierung. Die »gemeinsame Erklärung« der G7 wird als Legitimitätsquelle in Anschlag gebracht, ungeachtet ihres völkerrechtlichen Status. Dass diese Erklärung maßgeblich durch die USA beeinflusst wurde – und offensichtlich sogar in Teilen auf Trumps Eskalationskurs abgestimmt wurde, wie der ZDF-Korrespondent Theveßen später enthüllt –, spielt für Merz keine Rolle.

»Er hat den ganzen Abend hier noch mit uns verbracht.«

Der Kanzler betont die Nähe zu Trump, beschwört Einigkeit, wo es de facto Differenzen gab. In Wahrheit wurde der Entwurf der G7-Erklärung laut Theveßen bereits so weichgespült, dass zentrale Formulierungen (»beide Seiten auffordern, die Angriffe einzustellen«) entfernt wurden – nur um Trumps Zustimmung zu bekommen. Diese Willfährigkeit wird von Merz nicht als Schwäche erkannt, sondern als diplomatischer Erfolg inszeniert.


Rechtsbruch im Halbschatten: Die Relativierung des Völkerrechts

Auf den Einwurf der Journalistin, dass der israelische Angriff »völkerrechtlich sehr umstritten« sei, reagiert Merz – mit einer Umgehung:

»Offen gestanden, ich war mir nicht sicher, ob wir das erreichen […] dass wir mit den G7 zu einer solchen gemeinsamen Erklärung kommen.«

Kein einziges Mal äußert der Kanzler Zweifel an der Rechtmäßigkeit des israelischen Vorgehens. Kein Verweis auf die UN-Charta, kein Hinweis auf die Problematik präventiver Militärschläge – obwohl namhafte Völkerrechtler wie Mary Ellen O’Connell oder Christian Tomuschat immer wieder betonen, dass solche Angriffe mit Artikel 2, Ziffer 4 der UN-Charta nicht vereinbar sind.

Stattdessen wird das moralische Urteil ersetzt durch politische Zweckrationalität: Israel »hat Mut gezeigt«. Damit wird aus einem möglichen Rechtsbruch ein Akt zivilisatorischer Tapferkeit. Die Gewalt wird nicht diskutiert – sie wird bewundert.


Das Ende der Diplomatie: Sprache als Waffe

»Wenn das Regime bereit wäre an den Verhandlungstisch zurückzukehren […] wenn nicht, dann […] Zerstörung.«

Diese Logik kennt nur noch ein Wenn-Dann. Diplomatie ist kein politisches Werkzeug mehr, sondern ein rhetorisches Feigenblatt – vorbehaltlich der Unterwerfung der Gegenseite. Die Bedingungen für Verhandlungen werden dabei rhetorisch so gesetzt, dass sie unerfüllbar erscheinen. Der Iran – oder besser: »das Regime« – muss sich gewissermaßen selbst auflösen, um verhandlungsfähig zu sein. Eine dialektische Unmöglichkeit.

Was fehlt, ist jede Form von Empathie oder differenzierter Analyse der geopolitischen Lage: keine Erwähnung der Auswirkungen westlicher Sanktionen, keine Reflexion über das Atomabkommen (JCPOA), das 2018 aufgekündigt wurde – und dessen Scheitern überhaupt erst zur Eskalation führte. Stattdessen wird die Vergangenheit ausradiert und durch ein moralisches Schwarz-Weiß ersetzt.


Die Gewalt als Dienstleistung

»Drecksarbeit, die Israel da gemacht hat.«

Merz’ Rede ist von einer frappierenden Bequemlichkeit durchzogen. Krieg wird nicht mehr als grausame Notwendigkeit, sondern als Dienstleistung interpretiert – erbracht von einem loyalen Alliierten. Diese Externalisierung der Gewalt erlaubt dem Westen, sich rein zu fühlen und dennoch Kriege zu führen – nur eben nicht selbst.

Diese Delegation hat Folgen: Sie verhindert politische Verantwortung. Wer die Drecksarbeit outsourct, kann später auch die Verantwortung outsourcen. Der Westen wird zum anonymen Auftraggeber, Israel zum Söldner der Moral. Und der Krieg wird zu einem notwendigen Reinigungsvorgang.

Diese Denkweise ist nicht neu – aber sie ist gefährlich. Sie entspringt einer kolonialen Logik, in der andere die Last tragen, während der eigene Hofstaat sich feiert. In der Sprache von Merz ist nichts von Verantwortung, nichts von Reue – nur Effizienzdenken.


Die Heroisierung militärischer Gewalt

»Größten Respekt davor, dass die israelische Armee den Mut dazu gehabt hat.«

Merz stellt nicht nur das israelische Vorgehen nicht infrage – er ehrt es. Der Angriff auf iranische Atomanlagen wird zum Akt von »Mut« verklärt. Der Begriff ist in diesem Kontext doppelt gefährlich: Erstens verklärt er die asymmetrische Machtlage – als sei der Angriff nicht das Werk einer hochgerüsteten Militärmacht, sondern eines David gegen Goliath. Zweitens verlagert er das Zentrum der Debatte weg vom Recht hin zur Tapferkeit.

Damit bedient Merz eine politische Sprache, die Judith Butler einst als »disziplinierte Aggression« charakterisierte: Eine Form der Gewalt, die durch moralisches Vokabular so stark überformt ist, dass sie ihren eigentlichen Charakter verliert. Gewalt wird zur Mutprobe. Zum Lackmustest geopolitischer Entschlossenheit.

»Wir hätten sonst Monate und Jahre diesen Terror gesehen.«

Die klassische Rhetorik der Vorbeugung wird bemüht: Angriff als Prävention, Krieg als Maßnahme zur Verhinderung eines schlimmeren Krieges. Ein diskursives Perpetuum mobile, das jede militärische Eskalation rechtfertigt – und den Frieden systematisch aus dem politischen Horizont verbannt.


Deutschland? Komplize mit weißem Kragen

Was bleibt von der Rolle Deutschlands, nachdem Merz seine Linie skizziert hat? Ein Land, das die »Drecksarbeit« goutiert, das internationale Völkerrecht relativiert und sich in G7-Erklärungen flüchtet, ohne selbst auch nur ein Mindestmaß an kritischer Distanz zu den USA oder Israel zu zeigen.

»Wir haben Israel größtmöglichen Respekt ausgesprochen.«

Das klingt nicht nach Vermittler. Es klingt nach ideologischer Gefolgschaft. Die historische Verantwortung Deutschlands wird hier nicht als ethisches Mahnmal interpretiert, sondern als moralischer Blankoscheck für israelische Militäraktionen – egal, wie rechtlich fragwürdig sie sind.

Damit wird deutsche Außenpolitik zur geopolitischen Beihilfe. Und Merz wird nicht zum Architekten eines Friedensdiskurses, sondern zum Notar des Krieges. Seine Worte beglaubigen das, was andere tun – mit Rückendeckung, aber ohne Verantwortungsübernahme.


Entleerung demokratischer Deliberation

Merz betreibt – ganz im Sinne der Securitization Theory – eine Transformation politischer Aushandlungsprozesse in sicherheitspolitische Dogmen. Wo früher deliberative Politik stattfand, herrscht heute »alternativlose« Sicherheitslogik. Die Sprache des Politischen wird verdrängt durch die Sprache der Gefahr.

Diese Art der Kommunikation ist nicht neutral. Sie produziert Realität. Was in solcher Sprache ausgesprochen wird, erscheint nicht mehr als eine Option – sondern als Notwendigkeit. Und genau hier liegt die eigentliche demokratiegefährdende Dimension: Die Erzählung vom Mut ersetzt die demokratische Debatte. Die moralische Verurteilung ersetzt die Völkerrechtsprüfung. Die G7-Erklärung ersetzt das Votum der Völkergemeinschaft.

Was dabei verschwindet, ist die Fähigkeit der Öffentlichkeit, selbst zu urteilen. Denn wer widerspricht, läuft Gefahr, sich mit dem Bösen gemein zu machen. Und wer schweigt, nickt – in einer Sprache, die längst auf Gewalt programmiert ist.


Vom Diskurs zur Disziplinierung

Friedrich Merz spricht im ZDF nicht als Kanzler eines friedliebenden Landes, sondern als Tribun eines geopolitischen Westens, der Gewalt mit Würde überzieht. Seine Rhetorik ist kein rhetorisches Missgeschick – sie ist ein wohlkalkuliertes Instrument. Sie dient nicht der Verständigung, sondern der Mobilmachung. Nicht dem Frieden, sondern seiner Zerstörung im Namen einer imaginierten Ordnung.

»Das Regime in Teheran wird nicht einfach so weitermachen können.«

Dieser Satz klingt wie ein Versprechen. In Wahrheit ist es eine Drohung. Eine Ankündigung, dass Deutschland – im Schatten der USA – nicht mehr der Vermittler sein will, sondern der Komplize. Dass Recht dem Kalkül weichen soll, Empathie der Entschlossenheit, Vernunft dem Pathos.

Und dass die Sprache, die dies alles ermöglicht, nicht bloß ein Transportmittel ist – sondern bereits Teil des Krieges.


Anmerkungen zur weiteren Lektüre

  • Buzan, Barry / Wæver, Ole / de Wilde, Jaap (1998): Security. A New Framework for Analysis.
  • Klein, Josef (2018): Politische Rhetorik: Inszenierungen des Politischen.
  • Butler, Judith (2009): Frames of War. When Is Life Grievable?
  • Chomsky, Noam / Herman, Edward S. (1988): Manufacturing Consent.
  • Laclau, Ernesto / Mouffe, Chantal (2001): Hegemony and Socialist Strategy.
  • O’Connell, Mary Ellen (2003): The Myth of Preemptive Self-Defense. ASIL Task Force Memorandum.
  • Tomuschat, Christian (2017): Völkerrecht und internationale Gewaltverhältnisse.
  • Zaak, Armin (2020): Feindbilder in der politischen Kommunikation.

About the author

Holger Elias

Studien der Journalistik und Kommunikations-Psychologie. War beruflich als Korrespondent und Redakteur bei Nachrichtenagenturen (reuters, cna usw.), für überregionale Tageszeitungen sowie für Rundfunk und Fernsehen tätig. Lebte und arbeitete knapp acht Jahre als EU-Korrespondent in Brüssel. Als Verleger und Publizist gab er knapp 140 Buchtitel heraus.

By Holger Elias

Neueste Beiträge

Archive

Get in touch