Als im Mai 2025 die Stationierung einer vollausgerüsteten deutschen Panzerbrigade in Litauen medienwirksam kommentiert wurde, reichte das Echo von apodiktischer Zustimmung über vorsichtige Skepsis bis hin zu innenpolitischer Problemanalyse. Doch wer genauer hinsieht, erkennt nicht eine pluralistische Debatte, sondern die variierten Spielarten eines diskursiven Gleichschritts – orchestriert im Takt der hegemonialen Ordnung. Die Analyse nach dem Propaganda-Modell von Herman und Chomsky legt offen, wie tief verankert die journalistische Konformität mit den Eliteninteressen des sicherheitspolitischen Komplexes inzwischen ist.
I. Der Mythos vom unabhängigen Kommentar
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG erhebt Friedrich Merz’ Satz “Der Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin” zum politischen Evangelium. Die wörtliche Aufladung eines geopolitischen Allgemeinplatzes gerinnt zur sakralen Formel in einem Diskurs, der keine Abweichung mehr duldet. Eigentümerstruktur, Zielgruppeninteressen, Nachrichtenquellen: allesamt wirken sie wie Filter, die nur durchlassen, was zur Bestätigung eines transatlantisch-konservativen Weltbildes taugt. Kritik? Fehlanzeige. Die FAZ illustriert damit perfekt den Mechanismus, den Herman und Chomsky als “Elite-Konsensproduktion” beschrieben haben.
Die FREIE PRESSE aus Chemnitz folgt diesem Duktus, übersetzt ihn aber in eine regionale Sprache des Funktionalismus: Deutschland übernimmt Verantwortung, sendet Signale, stellt sich seiner Rolle. Dreigliedrige Argumentationsstruktur suggeriert Rationalität, wo eigentlich nur affirmativer Nachvollzug herrscht. Dass solche Texte keine Berichterstattung, sondern Funktionstexte einer ideologischen Selbstvergewisserung sind, gerät aus dem Blick. Auch hier dominiert die Binnenlogik des Filtersystems: Eigentumsstruktur, Anzeigenwirtschaft und Elitequellen formen eine medial abgedichtete Welt, in der das Militärische als alternativlos erscheint.
II. Die beruhigende Stimme der technischen Vernunft
Etwas differenzierter artikuliert sich der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER. Hier wird nicht primär das Feindbild Russland beschworen, sondern der organisatorische Aufwand problematisiert. Doch auch das ist Teil des Spiels: Kritisiert wird nicht die militärische Logik an sich, sondern deren pragmatische Umsetzung. Damit bleibt man anschlussfähig an den herrschenden Diskurs, ohne Flak zu provozieren. Die Funktion solcher Kommentare liegt nicht in der Kritik, sondern in der diskursiven Stabilisierung durch kontrollierte Dissonanz. Das Propaganda-Modell erkennt diesen Mechanismus als Form der „marginalisierten Abweichung“: Die Systemfrage bleibt tabu, aber administrative Kritik ist erlaubt.
III. Die Süddeutsche und die Pflicht zur Konformität
Wenn die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG das Personalproblem der Bundeswehr als Argument für eine allgemeine Dienstpflicht heranzieht, dann ist das weniger ein Akt publizistischer Verantwortung als vielmehr die Fortsetzung sicherheitspolitischer Hegemonialstrategien mit innenpolitischen Mitteln. Die Forderung nach Dienstpflicht wird nicht begründet, sondern postuliert. Der Rekurs auf die „militärische Notwendigkeit“ ersetzt jede Diskussion über Legitimität, Ethik oder Alternativen. Auch hier wirken die Filter: Konzernstruktur, systemstabilisierende Interessen, einseitige Quellenwahl und die Vermeidung jeglichen Dissenses. Was bleibt, ist ein Paradebeispiel für mediale Instrumentalisierung politischer Kommunikation.
IV. Wenn Geschichte zur ideologischen Chiffre wird
Der KÖLNER STADT-ANZEIGER geht einen scheinbar anderen Weg: Er thematisiert soziale Belastungen junger Menschen, die Fragilität politischer Koalitionen und die Ungewissheit einer Dienstpflicht. Doch am Ende landet auch dieser Kommentar bei der alten Chiffre: Litauen habe jahrzehntelang unter russischer Herrschaft gelitten – heute aber wehe den deutschen Fahnen der Freiheit. Der ideologische Mehrwert dieser Formel ist offenkundig: Geschichte wird zur Mobilisierungslegitimation für eine gegenwärtige Ordnungspolitik, deren militärische Logik nicht mehr hinterfragt werden darf. Der Filter der Feindbildproduktion zeigt hier seine perfide Effizienz: Russland muss gar nicht mehr genannt werden, um als Bedrohung zu wirken.
V. Und was bleibt?
Was bleibt, ist das beunruhigende Bild einer Medienlandschaft, die in weiten Teilen zur dienstbaren Staffage einer sicherheitspolitisch-militärischen Konsensfabrik geworden ist. Die Fünf Filter von Herman und Chomsky funktionieren dabei nicht als mechanistische Zensur, sondern als systemische Selbststeuerung: Redaktionen antizipieren, was sagbar ist, und produzieren die passende Realität.
In Zeiten, in denen die Rückkehr zur Wehrpflicht diskutiert wird, in denen Bundeswehrkontingente ins Baltikum verlegt werden und „Schutz“ zum zentralen semantischen Marker deutscher Politik mutiert, braucht es nicht mehr Mut zur Wahrheit, sondern Mut zur Systemfrage. Diese zu stellen, wäre die eigentliche Aufgabe eines Journalismus, der seinen humanistischen Anspruch nicht verraten will.
Doch der Tarnanstrich der Wahrheit ist dick aufgetragen. Und wer ihn durchdringen will, muss kratzen, wo es weh tut.
Quellen: Presseschau des Deutschlandfunks (23. Mai 2025), Eigene Auswertungen nach dem Propaganda-Modell von Herman & Chomsky.