Der wissenschaftliche Aufsatz »Between (Conceptual) Crisis and Critique: Reclaiming the Critical Epistemic Value of Publicness« von Slavko Splichal, veröffentlicht in der Zeitschrift Critical Sociology (Vol. 50, 2024), widmet sich der Untersuchung der epistemischen Bedeutung von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung im digitalen Zeitalter. Splichal, Professor an der Universität Ljubljana, greift in seinem Werk tief in die theoretischen und historischen Wurzeln dieser Konzepte ein und setzt sich kritisch mit deren Entwicklung und aktuellen Herausforderungen auseinander.
Splichals Arbeit beginnt mit einer fundierten Diskussion über den Begriff der Öffentlichkeit und seiner Bedeutung in der Kommunikations- und Medientheorie. Ursprünglich im deutschen Konzept der »Öffentlichkeit« verwurzelt, wurde dieser Begriff im englischsprachigen Raum als »public sphere« etabliert und hat seither zahlreiche Disziplinen und kritische Perspektiven beeinflusst. Diese historische Perspektive ist entscheidend, da Splichal die Evolution des Begriffs von den Anfängen bis zur heutigen digitalen Ära nachzeichnet. Besonders hervorgehoben wird die Tatsache, dass die ursprüngliche Tiefe des Konzepts durch die zunehmende Verwässerung in der modernen Anwendung verloren gegangen ist.
Ein zentrales Thema in Splichals Werk ist die Dichotomie zwischen instrumentellem und reflexivem Wissen, die besonders im Kontext der öffentlichen Meinung und der öffentlichen Sphäre relevant ist. Splichal argumentiert, dass die digitale Revolution, geprägt durch die Dominanz von Big Data und künstlicher Intelligenz, eine neue epistemische Herausforderung für die wissenschaftliche Kritik darstellt. Dies führt zu einem tiefgreifenden Problem für die soziale Wissenschaft, die zunehmend gezwungen ist, sich mit der Quantifizierung und Datenifizierung von Kommunikation auseinanderzusetzen. Diese Entwicklung hat nicht nur die Art und Weise verändert, wie öffentliche Meinung gemessen und interpretiert wird, sondern auch die konzeptuelle Tiefe und den kritischen Wert des öffentlichen Diskurses beeinträchtigt.
Splichal geht in seinem Aufsatz auch auf die historischen Kontroversen und unterschiedlichen theoretischen Ansätze zur öffentlichen Meinung ein, von den frühen normativen Theorien bis hin zu kritischen soziologischen und psychologischen Perspektiven. Hierbei zeigt er auf, wie sich die Sichtweisen auf die öffentliche Meinung im Laufe der Zeit verändert haben und welche Rolle technologische Entwicklungen dabei gespielt haben. Besonders aufschlussreich ist seine Analyse der »Tyrannei der Mehrheit«, wie sie von John Stuart Mill und Alexis de Tocqueville beschrieben wurde, sowie die späteren kritischen Ansätze von Edward Ross und Charles Cooley, die die öffentliche Meinung als Instrument der sozialen Kontrolle betrachteten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in Splichals Arbeit ist die kritische Auseinandersetzung mit der modernen Praxis der Meinungsumfragen. Er argumentiert, dass die Erfindung der Meinungsumfrage die kritische epistemische Kraft der öffentlichen Meinung erheblich geschwächt hat. Die Umfragen, so Splichal, haben die öffentliche Meinung zu einem manipulierbaren Objekt der Politik gemacht und den kritischen Diskurs verdrängt. Diese Kritik führt zu einer Diskussion über die Notwendigkeit einer Wiederbelebung und Reevaluation der Konzepte der Öffentlichkeit und der öffentlichen Meinung in der heutigen digitalen Welt, die von oligarchischer Kontrolle über digitale Plattformen geprägt ist.
In seiner Schlussfolgerung plädiert Splichal für eine theoretische und empirische Konsolidierung der Öffentlichkeit, die sowohl ihre historischen materiellen Grundlagen als auch ihre diskursive Überstruktur umfasst. Er stellt ein Modell vor, das die öffentliche Sphäre als eine Infrastruktur aus drei soliden gesellschaftlichen Säulen – Kommunikationstechnologie, demokratischen Institutionen und öffentlicher Kultur – darstellt. Diese Säulen sind notwendig für das Funktionieren einer kritischen und informierten Öffentlichkeit, die in der Lage ist, Einfluss auf Entscheidungsträger auszuüben und die Legitimität ihrer Entscheidungen zu gewährleisten.
Zusammenfassung der Quellen und des Werkes
Splichal stützt sich auf eine Vielzahl historischer und theoretischer Quellen, um seine Argumente zu untermauern. Er zitiert bedeutende Werke von Theoretikern wie Immanuel Kant, Karl Marx, Jürgen Habermas und John Dewey, um die Entwicklung der Konzepte der Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung darzustellen. Besonders hervorzuheben ist seine kritische Analyse der Arbeiten von Max Weber, Paul Lazarsfeld und Theodor W. Adorno, die unterschiedliche Perspektiven auf die Rolle der sozialen Wissenschaften und der kritischen Theorie bieten.
Das Werk »Between (Conceptual) Crisis and Critique: Reclaiming the Critical Epistemic Value of Publicness« ist eine tiefgehende und fundierte Untersuchung der Herausforderungen und Möglichkeiten der öffentlichen Sphäre und der öffentlichen Meinung im digitalen Zeitalter. Splichals kritische Perspektive und seine Fähigkeit, historische und theoretische Kontexte miteinander zu verknüpfen, machen diesen Aufsatz zu einer wertvollen Ressource für Wissenschaftler und Praktiker, die sich mit den dynamischen Veränderungen in der Kommunikation und den damit verbundenen gesellschaftlichen Implikationen auseinandersetzen.